
CELLE. Allein sein Name weckt Assoziationen, doch dieser Freiherr von Münchhausen, der gestern in der Celler Union auf Einladung des Wirtschaftsclubs zu Gast war, fliegt nicht auf Kanonenkugeln durch die Gegend und ist auch kein Lügenbaron. Ganz im Gegenteil – er spricht eine Wahrheit aus, die nicht häufig zu hören ist. Allzu oft wird die Digitalisierung gepriesen als Lösung vieler Probleme, doch sie hat auch Nachteile, und diese benannte Dr. Marco Freiherr von Münchhausen in seinem Vortrag „Das digitalisierte Gehirn“ und zeigte Wege auf, wie man nicht in ihre Falle tappt.
„Wenn Sie hochkonzentriert sind, schaffen Sie das Dreifache“, sagt er, doch die Einschränkung folgt auf dem Fuße. Sich einer Sache voll und ganz zu widmen, sei heute viel schwieriger als noch in den 1990er Jahren. „Arbeitsforscher haben festgestellt, wir werden alle 11 Minuten unterbrochen, ununterbrochen unterbrochen sozusagen“, erklärte der mehrfach ausgezeichnete Redner, der Jura, Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert hat. Mobil- und Festnetztelefon, E-Mails, Whatsapp-Nachrichten, Kollegen, die ins Büro stürmen – „ab dem Jahr 2000 haben die Störungen von außen immer mehr zugenommen“ in der Folge der technischen Entwicklungen.
Keineswegs möchte Münchhausen das Rad jedoch zurückdrehen. Er hat lediglich Strategien entwickelt, wie „wir die Kraft der Konzentration wiederfinden“. Dem Grundzustand des Gehirns entspricht nicht die gebündelte Energie, sondern Zerstreuung. „Der Neandertaler musste wachsam sein“, erläutert der Redner, überall lauerten Gefahren, erst wenn der Tiger hinter ihm stand, stellte sich durch die Ausschüttung von Adrenalin die Fokussierung auf eine einzige Sache ein. Doch ein stetiges sich Verlassen auf das Stresshormon sei ungesund, erklärt der Fachmann, der sein Referat sehr kurzweilig gestaltet, auf Interaktion mit seinem Publikum setzt, kleine bildhafte Geschichten einfließen lässt, die die transportierten Inhalte greifbarer machen.
Zwei Voraussetzungen benennt von Münchhausen für effektives Arbeiten: Für sich selber und für andere müssten Aufgaben klar formuliert werden, dabei sollten realistische Zeitlimits gesetzt werden. Weiterhin sollte man sich für bestimmte Zeitfenster abschirmen von Störungen: Handy aus, Schild an die Tür, keine E-Mails lesen usw. Komplett ausklinken vom digitalen Alltag könne man sich nicht, aber gewisse Auszeiten förderten die Arbeitsleistung und das Wohlbefinden. Von Münchhausen führt Studien aus den USA an, die belegten, dass Unterbrechungen der Arbeit mehr schadeten als Marihuana. Selbst unter dessen Einfluss habe eine Versuchsperson mehr geschafft als ein Proband, der kein Marihuana geraucht hatte, aber stetig reagierte auf Mails, Handyklingeln und persönliche Ansprache.
Ein weiteres Mittel, dessen der Referent sich bedient, sind knappe, formelhafte Sätze, auf die er seine transportierten Inhalte verkürzt: „Konzentration ist machbar!“, „Unterbrechungen schaden der Arbeit mehr als Marihuana“ oder „Singletasking statt Multitasking“. „Multitasking ist für das menschliche Gehirn nicht möglich“, erläutert der frühere Anwalt. Auch Frauen könnten das nicht. Wenn davon die Rede sei, dann handele es sich um automatisierte Vorgänge wie Bügeln. „Dabei kann meine Frau durchaus mit ihrer Freundin telefonieren“, berichtet er, „aber mit Multitasking hat das nichts zu tun. Unser Gehirn kann sich mit voller Aufmerksamkeit nur einer Sache widmen“, betont Freiherr von Münchhausen am Ende eines Vortrags, der jede Sekunde des intensiven
Zuhörens wert war.