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Aus der Altstadt nach Auschwitz – Das langsame Verschwinden des Robert Meyer


Namensgeber für den Platz im Herzen der Altstadt: Robert Meyer (1874-1943) Repro und Fotos: Peter Müller

CELLE. Der Robert-Meyer-Brunnen macht Schlagzeilen - zunächst durch seine fragwürdige Gestaltung, die an eine Grabplatte erinnert, dann mit einer nicht durchdachten Technik, die bereits ausgebessert werden muss und nicht zuletzt mit einer ethische Diskussion über die Umsetzung.


Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge ging in seiner kurzen Ansprache anlässlich der offiziellen Eröffnung des sanierten und neu gestalteten #RobertMeyerPlatzes Ende April mit keinem Wort auf den Namensgeber ein, erwähnte auch nicht, ob dessen Nachfahren eingeladen wurden zum Startschuss mit Familienfest im Herzen der Celler Altstadt.


Wer war also dieser Mann, den die Inschrift auf dem zentralen Wassertisch in grauen Lettern definiert als Eigentümer der Firma „Hamburger Engros-Lager“ am Großen Plan 2-3 sowie als Opfer des NS-Regimes?


Eines der wenigen Zeugnisse, in denen er persönlich zu Wort kommt, ist ein Brief an das damalige Stadtoberhaupt Ernst Meyer im Jahr 1940, darin schreibt er: „Ich bin 66 Jahre alt, in Celle geboren und erzogen. Ich habe im Krieg 14/18 2 Jahre gedient. […] Meine gesamte Familie erfreute sich seit jeher des allerbesten Rufes. Wir haben immer alle Pflichten dem Staate und der Gemeinde gegenüber ganz besonders gewissenhaft und aus freiem Antriebe erfüllt. Wir haben uns an jeder gemeinnützigen Organisation gern und freiwillig beteiligt. Jeder Beruf war in unserer Familie vertreten: Handwerker, Ärzte, Juristen, Angestellte am früheren Kgl. Hannoverschen Hofe…“


Der Verfasser der Zeilen fühlte sich zugehörig zur Stadtgesellschaft, er war einer der Gründer des „Vereins Celler Manufaktur- und Kurzwarengeschäfte“, Mitglied des Museumsvereins sowie der Freimaurerloge „Zum Hellleuchtenden Stern“. Ernst Meyer, von dessen Entscheidungen und Wohlwollen nun seit Ende der 1930er Jahre sein weiteres Schicksal abhing, war einst sein Logenbruder gewesen. Robert Meyer agierte als Unternehmer erfolgreich, erkannte als solcher die Zeichen der Zeit und handelte vorausschauend, wie seine Reaktion auf den lokalen Start des Kaufhauses zeigt, dessen Kapitel in diesen Wochen für die Residenzstadt zu Ende geht.


Der Beginn von Karstadt in Celle im Jahr 1929 war für ihn ein Wendepunkt. Der in den 1920er Jahren expandierende Konzern Rudolph Karstadt AG wurde für den Firmeninhaber zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz. Die Aktiengesellschaft hatte das Hotel „Stadt Hannover“, Ecke Bergstraße/Poststraße, erworben, riss es ab und baute an der Stelle ein Karstadt-Warenhaus. Rund 25 Jahre zuvor waren es Robert Meyer und sein Vater Isidor gewesen, die die Rolle der Vorreiter innehatten. Mit ihrem „Hamburger Engros-Lager“ galten sie als Begründer des ersten modernen Kaufhauses in Celle.


UMTRIEBIG UND VORAUSSCHAUEND

Robert Meyer wurde am 10. Oktober 1874 in Celle geboren, er entstammte einer jüdischen Celler Kaufmannsfamilie und absolvierte selbst eine kaufmännische Ausbildung. Sein Vater Isidor war privat sportbegeistert und beruflich ein umtriebiger und erfolgreicher Geschäftsmann, der im Jahr 1889 eines der beiden Fachwerkhäuser, die am Großen Plan an der Stelle standen, wo sich heute die Sparkasse befindet, gekauft hatte. Er gründete die Firma „Hamburger Engros-Lager Meyer & Co.“, handelte mit Stoffen und allem, was zu einer Aussteuer gehörte, Robert stieg früh in den Betrieb ein. Im Jahr 1904 erwarben sie das zweite Fachwerkhaus, Großer Plan 2, mit Hinterhaus zum Südwall, ließen beide Gebäude abreißen und errichteten ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus. Ein Jahr später wurde das „Hamburger Engros-Lager“ in den neuen Räumen wiedereröffnet.


30 Angestellte von der Direktrice bis zur Näherin und Plätterin arbeiteten im Betrieb, um bis zu 300 Kunden täglich zufrieden zu stellen. Seit 1913 war Robert alleiniger Inhaber. Noch im Jahr 1927 wurde in einer vom deutschen Städteverlag verlegten offiziellen Darstellung Celles auf die mustergültige Inneneinrichtung in einem modernen Bau, der sich wirkungsvoll ins Stadtbild einfüge, die lange Tradition der Firma sowie ihren hohen Bekanntheitsgrad in der Region hingewiesen.


Robert Meyers Ehefrau Frieda arbeitete bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1923 tatkräftig im Geschäft mit, auch die beiden Kinder Adolf und Gertrud waren in den Betrieb mit eingestiegen. Ende der 1920er Jahre kündigte sich der Umbruch an. In der Altstadt bildete sich nach Bekanntwerden der Pläne für ein neues Warenhaus eine regelrechte Anti-Karstadt-Bewegung, der Einzelhandel befürchtete Einbußen. Doch Robert Meyer beteiligte sich nicht, er gab das „Hamburger Engros-Lager“ auf und verpachtete die Geschäftsräume an Karstadt, die dort im Jahr 1929 ein Möbelhaus etablierten. Robert und sein Sohn Adolf Meyer wurden Geschäftsführer bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933.


VOM GEACHTETEN MITBÜRGER ZUR UNPERSON

Fortan bestimmte allein die jüdische Herkunft das weitere Schicksal Robert Meyers, ein Viertel der Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Celle verließ Deutschland gleich zu Beginn des NS-Regimes, auch Adolf und seine Schwester Gertrud emigrierten in die USA. Alle übrigen jüdischen Bürger mit Haus- oder Grundbesitz in Celle wurden bis zum Frühjahr 1939 zum Verkauf und zur Auswanderung gezwungen. „Sobald die Juden weg sind, kann die Stadt das Grundstück übernehmen“, hieß es in einer Aktennotiz der städtischen Verwaltung Anfang 1941. Robert Meyer nahm eine Sonderrolle ein, seine Wohn- und Geschäftsgebäude im Herzen der Altstadt waren sehr attraktiv, zunächst wollte er nicht emigrieren, dennoch wurde ihm die Veräußerung seines Eigentums aufgezwungen, seine Vermögensverhältnisse hatte er aufgrund einer entsprechenden Verordnung aus dem Jahr 1938 offenlegen müssen.


Auch auf kommunaler Ebene war das Führerprinzip eingeführt worden. Allein der Oberbürgermeister als Leiter der Stadtverwaltung trug die ausschließliche Verantwortung für alle Entscheidungen. „Aus massiven stadtplanerischen Interessen heraus hat sich in der Folgezeit vor allem die Stadt bei den ‚Arisierungen‘ der jüdischen Grundstücke und Häuser beteiligt, wie am Beispiel Robert Meyer gut gezeigt werden kann“, schreibt Sibylle Obenaus in dem Buch „Juden in Celle“.


Zunächst bat der frühere Unternehmer im Zuge der Verkaufshandlungen mit dem Rathaus noch um ein Wohnrecht für vier Räume. „Nicht erwünscht“, beschied die oberste Behörde in Lüneburg. Das Verfahren zum Verkauf der Liegenschaften gestaltete sich überaus schwierig, dafür war nicht allein die Celler Verwaltung, aber doch zu einem sehr großen Teil verantwortlich. Sie verschleppte, bekundete zunächst größtes Interesse, dann verzichtete sie formell auf die Grundstücke, hinzu kam, dass sie auch bei Transaktionen unter Privatleuten zustimmen musste. Die inständigen Bitten um beschleunigte Bearbeitung blieben ohne Wirkung auf die langsam mahlenden Mühlen des Beamtenapparates unter Führung des Oberbürgermeisters. Für Robert Meyer ging es um alles, die Bürgschaft seiner Kinder für die Ausreise nach Amerika lag vor, es fehlte allein am Geld für die hohen „Reichsfluchtsteuern“ und die Reise. Er sollte es nie bekommen. Als die Genehmigung von höchster Stelle vorlag, war es zu spät. Seit Ende Oktober 1941 war den jüdischen Bürgern die Auswanderung verboten.


LETZTE MONATE IN DER ALTSTADT

„Entrechtet“ lautet einer der Begriffe der zweifelsohne in bester Absicht eingravierten Inschrift auf dem Wassertisch. Was bedeutete dieses konkret für die letzten Monate, die der Begründer des ersten modernen Kaufhauses vor Ort noch in seiner Heimatstadt verbrachte, nachdem die Hoffnung gegangen und die Angst geblieben war? Im Unterschied zu den meisten der weniger als 20 anderen jüdischen Bürger, die ab 1940 ihr Zuhause verlassen mussten und alle gemeinsam in den Räumen des Synagogenhauses untergebracht wurden, zwang man Robert Meyer nicht, seine Wohnung am Großen Plan zu räumen. Noch bis zum 1. Juli 1942 war sogar seine Hausgehilfin Elisabeth Dehmke bei ihm. Auf Anordnung des Arbeitsamtes musste er sie entlassen. „Wahrscheinlich haben sie und ihre Eltern Johannes und Luise Dehmke aus der Münzstraße sie nach ihren bescheidenen Möglichkeiten unterstützt“, schreibt Sibylle Obenaus. Vielleicht gaben sie ihm mal ein Stück Wurst oder Kuchen, mal ein Ei oder Milch. Seit Kriegsausbruch 1939 hatte sich das Netz der Einschränkungen, Auflagen, Drangsalierungen und Demütigungen immer engmaschiger um den Kreis der jüdischen Menschen geschlungen. Ihre Radios, Fahrräder und Schreibmaschinen mussten sie entschädigungslos abgeben. Die Meyers hatten zu den ersten Cellern mit Fernsprecher gehört, die Anschlüsse wurden gekappt, Telefonieren verboten, keine Zeitschriften, keine Zeitungen, keine Friseurbesuche und ab 1942 auch keine Bezugskarten für Fleisch, Wurst, Eier und Milch mehr. Die Zeiten, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, waren reglementiert. Ilse Raabe hatte als Büroangestellte für Robert Meyer gearbeitet. Sie sah ihn noch einmal mit Judenstern in der Nähe seines Hauses, erinnerte sich im Interview mit Sibylle Obenaus gut an den Moment, weil sie unsicher war, ob sie ihn grüßen sollte oder nicht.


Robert Meyer war aus der Stadtgesellschaft, in die er sich eingebracht hatte und deren Bestandteil er gewesen war, verschwunden, noch bevor er im März 1943 aus dem Herzen seiner Heimatstadt Celle nach Auschwitz deportiert wurde. Zum 31. August 1943 wurde er für tot erklärt.


Quelle: „Juden in Celle – Biographische Skizzen aus drei Jahrhunderten“, Hrsg.: Stadt Celle, 1996.



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