Kolumne Celle – ein Gedicht, Folge 8: »Löwenfutter«
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- 22. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

Von Adson Ulkner Schertz
Als ich unlängst wieder einmal an der »Bier-Akademie« am Weißen Wall vorüberspazierte, fiel mir etwas ein, weil man hier, in dieser ehemaligen Schankwirtschaft mit dem schönen Namen, doch auch heute noch die Celler kulinarische Spezialität schlechthin aufgetischt bekommt (wiewohl man leider seit langem schon kein Bierdiplom mehr ablegen kann): die auch »Löwenfutter« genannte rohe Roulade, jene sehnenfreie, dünn aus der Oberschale des Rinds geschnittene Fleischrolle, gefüllt mit Senf, Zwiebeln, Schinkenspeck etc. pp. Und was mir einfiel, lautet in Kurzfassung so:
Es war einmal ein junger angehender Dichtersmann, Anfang zwanzig. Es war eine Zeit, in der das Internet noch in den Kinderschuhen steckte (wenn's nicht sogar noch schuhlos irgendwo Bubu machte). Der junge Mann war einsam. Eine freundschaftlich Bekannte sah das, und es jammerte sie. Also steckte sie dem jungen Mann eines Tages eine Postadresse und ein Passfoto zu, das eine junge Frau zeigte: »Hier, schreib der mal! Das ist 'ne ganz liebe Bekannte von mir, aus Bielefeld. Die ist auch allein und sucht. Und schau mal, die ist hübsch!« Das stimmte! Also schrieb ich ihr eben – denn der junge angehende Dichtersmann war natürlich ich. Es wurde schnell ein hochintensiver Briefwechsel daraus. In einem ihrer letzten Schreiben vor einem schleunigst anberaumten Treffen, sagte sie von sich, sie sei »übrigens eine echte Löwin, grrr!« Soso, dachte ich etwas skeptisch und wusste nicht so recht, wie das zu verstehen sein sollte. Eine ganz wilde Hilde? Hm. Jedenfalls kam mir bei dieser Selbstbezeichnung natürlich nicht in den Sinn, dass es sich bei der Löwin um jemanden handeln könnte, der nicht zum Stamme der Karnivoren gehörte. Entsprechend plante ich das Mahl, das ich ihr bei ihrem ersten Besuch bei mir bereiten würde. Und somit wurde dieser erste Besuch auch der letzte.
[Löwenfutter]
Die Postzusteller mussten reichlich flitzen,
als wir uns immer noch mehr Briefe schrieben.
Wir schrieben, schrieben uns in ein Verlieben,
die Briefe hell durchzuckt von Herzensblitzen.
Natürlich wollten wir uns dann auch sehen,
denn echter Anblick übertrifft Geschreibe.
Du kamst zu mir in meine Celler Bleibe: Hallöchen,
Traumfrau, willst du mit mir gehen?
Ich wollte dir ein Festmahl kavalierkredenzen,
als alles seinen Ausdemruderlauf nahm,
es umschlug und statt Liebe Übel aufkam.
Beim Hauptgang fetzten sich die Differenzen:
Ich präsentierte Celles Rohroulade,
nur warst du sehr, sehr vegetarisch. Schade.
Während ich damals irgendwie fassungslos und beschämt, reumütig kleinlaut und gleichzeitig erschrocken entsetzt war, angesichts der grellen Reaktion auf die rohe Roulade, die ich mit so fideler Verve selbstsicher serviert hatte, muss ich heute darüber lachen: wie ihr in Zeitlupe die Mimik entglitt, sich von bezaubert in angewidert verwandelte; wie sie vom Stuhl am Essenstischchen aufsprang; wie sie sich aus einem Stottern in eine Wutrede steigerte – und was sie darin an Begrifflichkeiten unterbrachte: »W-w-wie kannst du mir so einen aufgedunsenen Regenwurm vorsetzen hier, so 'n skalpierten Hamster da, so 'n wundgerubbelten Nacktmull, so 'n, so 'n … Genitalamputat?!«
Nachdem sie meine Wohnungstür scheppernd hinter sich zugeschlagen hatte, verspeiste ich also eine Doppelportion Löwenfutter – gut gelungen; es mundete mir! (Wie Schlachter Bartels am Markt wohl seinerzeit, vor dem zweiten Weltkrieg, auf diese Speise kam? Oder machte erst sein ehemaliger Lehrling, der Wirt Fritz Krohne, aus dem rohen Fleisch das vollwertige Gericht, irgendwann in den 1950er Jahren? Man weiß es nicht.)
Wir halten jedenfalls fest: mit vegetarischen Löwinnen lieber gut Kirschen essen!


An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.














