CELLE. Innerhalb eines halben Jahres ist die Zahl der wohnungslosen Menschen in Celle um 66 Prozent gestiegen – das zeigen aktuelle Zahlen des Diakonischen Werks. Dieser besorgniserregende Trend stellt die Stadt vor große Herausforderungen: Wie kann man den Betroffenen effektiv helfen, und welche Maßnahmen sind dringend notwendig, um die Situation zu entschärfen?
Das waren die bestimmenden Frage beim Runden Tisch `Obdach- und Wohnungslosigkeit´. Dazu trafen sich diese Woche Vertreter der Ambulanten Hilfe, des Jobcenters, der Bahnhofsmission, des Diakonischen Werks, außerdem das Projekt Brückenbau, die Maltester, der Kalandhof und andere Vereine.
206 Personen seien aktuell bei der Ambulanten Hilfe allein postalisch gemeldet, so Marina Opitz – die Dunkelziffer sei höher. Auch Julia Dittel von der Bahnhofsmission bestätigt den Anstieg. Früher hätten vielleicht zwei bis drei Leute die Woche die Möglichkeit in Anspruch genommen, in der Bahnhofsmission zu duschen. „Heute sind es fünf am Tag“, sagt sie. Es seien untypisch viele Menschen, die – bereits im August und September – in der Bahnhofshalle schlafen oder über Wochen ihre Koffer im Bahnhof unterstellen, weil sie nicht wüssten, wohin mit dem wenigen, was sie besitzen.
Zusammenarbeiten für eine echte Lösung
Marina Opitz rief den Runden Tisch ins Leben, um diejenigen zu vernetzen, die sich für wohnungslose Menschen einsetzen. Die Notunterkunft in Scheuen zum Beispiel sei immer voll. Anstatt dort nur für ein, zwei Nächte unterzuschlüpfen, lebten Menschen teilweise bis zu einem Jahr dort. Der Platz fehle dann für akute Fälle.
Weil die Anlaufstellen noch immer vielen nicht bekannt ist, erstellte Marina Opitz gemeinsam mit Julia Dittel einen Sozialen Stadtplan. Dort sind alle wichtigen Einrichtungen und Behörden aufgeführt. Dieser liege überall aus und sei auf der Homepage der Stadt Celle verlinkt. Zudem entstehe ein Kreislauf, führt Marina Opitz weiter aus: „Kein Wohnsitz – kein Job; kein Job – kein Wohnsitz“. Schnell kämen dann Schulden hinzu und psychische Erkrankungen, was die Teilhabe am sozialen Leben verhindert. Durch die Zusammenarbeit im Runden Tisch könne man besser helfen und Ansprechpartner zu individuellen Problemen vermitteln.
„Wohnungslosigkeit kann jeden treffen.“
Das größte Problem ist für die Teilnehmer des Runden Tisches, obdachlose Menschen überhaupt wieder mit Wohnraum zu versorgen. Hier wird daher in regelmäßigen Abständen diskutiert, welche Hilfsmöglichkeiten und weitere Vorgehensweise denkbar wären. Eine Kerngruppe des Runden Tisches spricht dann mit Vertretern der Stadt oder bringt macht konkrete Vorschläge (beispielsweise im Sozialausschuss). Von Seiten der Stadt werde das Problem mittlerweile besser wahrgenommen als früher. „Wir sind gemeinsam auf einem vernünftigen Weg“, bestätigt Julia Dittel. Denn Wohnungsbaugesellschaften wollen Sicherheiten, die Menschen ohne Obdach – und dann meist auch ohne Arbeit – nicht bieten können. Die Ambulante Hilfe vermiete zwei Wohnungen weiter an Obdachlose, berichtet Marina Opitz: „Irgendwo muss man anfangen.“
Einen noch besseren Ansatz verfolge das Konzept `Housing First´, ergänzt ihr Kollege Jens Schreck. Hier werde der Mietvertrag direkt zwischen Mieter und Vermieter geschlossen. In Hannover und anderen Städten laufe das schon sehr gut. In Celle engagiere sich bisher nur die Wohnungsbaugesellschaft Allerland – nach Kontaktvermittlung durch Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge: ein Beispiel für gelungene Zusammenarbeit. „Wohnungslosigkeit kann jeden treffen“, sagt Marina Opitz, „Wer zu Hause rausfliegt, schlüpft erstmal bei Freunden unter – aber das ist immer nur vorübergehend. Eigene vier Wände machen den Unterschied, um sich sicher zu fühlen – und für alles, was daraus folgt.“