Kolumne Celle – ein Gedicht, Folge 17: »Celler Bier«
- CELLEHEUTE
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Von Adson Ulkner Schertz
Ich gönnte mir jetzt einmal so richtig etwas – und warum denn auch nicht?! Ich saß nämlich gemütlich im sogenannten Esszimmer in »Martas Restaurant« (Neue Straße 16) und genoss einen in Butter gebratenen Steinbeißer mit Würfelkartoffeln, Spinat und Fetakäse, dazu ein gut gekühltes Celler Urtrüb vom Fass! Wenn schon, denn schon!
Vorher, zuhause, hatte ich noch etwas in der Edda, der Sammlung nordisch mythologischer Götterlieder, gelesen sowie in der Bibel, in den Sprüchen Salomos, um genau zu sein, und die Kombination aus der Schlussstrophe des Hymirliedes, in dem Thor dem Riesen Hymir einen Braukessel abluchst, und den Sprüchen 31, 6-7 hatte mich zu mir selbst sagen lassen: »Ja, ich gehe jetzt gutes Bier trinken und feines Essen fassen!« Denn so lauteten die besagten Textstellen, die jetzt noch in mir nachhallten: »Der Kräftige kam zum Kreis der Götter und hatte bei sich Hymirs Kessel; nun mögen die Asen bei Ägir Bier wacker trinken den Winter hindurch.« und »Gebt Bier denen, die am Umkommen sind, und Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken.« – Also los! Und zwar stracks zu »Martas« hin!
Vor mir nun, an einem Zweiertischchen im Esszimmer, saß ein Pärchen, vielleicht Mitte, Ende 50, und mit heiter-schwungvoller Geste bestellte der Mann just seinen dritten halben Liter Celler Urtrüb-Bier, was die Frau nicht eben jauchzen machte:
»Ich dachte, du wolltest jetzt mal etwas kürzer treten, Ulrich?!«, gab sie zu bedenken, vertikale Keilschrift zwischen den Augenbrauen.
»Wie meinen, Hase?«
»Ja, du hattest doch jetzt mal weniger Bier trinken wollen?«
»Schatz, Betz, die Celler Brauerei, hat Insolvenz angemeldet!«
»Ähm. … Und?«
»Na, Stichwort ›Loyalität‹ und Stichwort ›Lokalpatriotismus‹ auch! Es ist nicht die Zeit für egoistischen Aktionismus! Man muss sich jetzt selbst zurücknehmen und in größeren, sozusagen gesamtceller Zusammenhängen denken!«
»Du willst mir wirklich weismachen, dass du aus altruistischen Gründen, quasi schon in Aufopferung Bier trinkst?!«
»Lass es mich mit Jesus sagen, Ulrike: Ja, ja; nein, nein. Meine Hauptmotive sind Hilfe, Unterstützung, Caritas! Und da trifft es sich doch, wenn jetzt ein gewisser grundlegender Durst dazukommt! Das ist doch einfach Win-win, Ulrike!«
Angesichts dieser schlitzohrig verschmitzten Schluckspecht-Argumentation gnickerte ich anerkennend in mich hinein und fühlte mich sofort bemüßigt, dem guten Celler Bier ein Lobgedicht zu verzapfen. Also kritzelte ich auf meine »Martas«-Serviette dies:
Celler Bier
Das Wohlsein ist am Waldweg zu verorten.
Ein goldner Zaubersaft wird dort kreiert,
den hätten Thor und Odin und Konsorten
in Hektolitern täglich inhaliert.
Ein tiefer Zug vom Urtrüb-Bier:
ein Gerstenfeld, ein Junihimmel,
im Auenhain die Hopfenzier,
so bildreich frischt das Malzgebimmel!
Das herb barocke Perlen, Schäumen
ergießt sich in gewillte Kehlen
und sammelt prickelnd sich in Räumen
der wieder animierten Seelen.
So wirkt als wahres Lebenselixier
das wirklich wunderbare Celler Bier!
»Und, Ulrike, man muss doch zudem ganz nüchtern anerkennen«, sagte angeheitert am Tisch da vorne Ulrich zu Ulrike, »dass Bier eine üppige Vitamin- und Elemente-Quelle ist! Ich spreche von B Zwo und B Sechs, von Folsäure, von Kalium und Magnesium auch – um nur ein paar Beispiele zu nennen!«
»Ulli, bitte!«
»Selen und Silicium, Üllchen!«

Während ›Üllchen‹ noch kopfschüttelnd abwinkte, schaltete sich plötzlich ein ganz junger Mann (18, 19, 20?), der mit einer ebenso ganz jungen, platinblonden Frau an einem Nebentisch saß, in das Gespräch ein: »Sorry, aber das mit der Brauerei Betz und dem Celler Bier, das ist natürlich wirklich heavy. Muss man sich mal vorstellen: keine Brauerei Betz und kein Celler Bier mehr – das geht doch gar nicht, das darf doch nicht sein! Da muss man doch was machen, irgendwie!«
»Social Media!«, seufzte daraufhin die dazugehörige Platinblonde und erhob einen sonderpädagogischen Zeigefinger. Man wartete auf Konkretisierungen. Aber es kamen keine. Der zeitgemäße Begriff sollte wohl als eine Art immer gültige Zauberformel aus dem Zeitgeistreich schlicht ausreichen.
Kommunikationspause. Schweigen und Schlücke aus Celler Biergläsern.
Dann hub wieder der ganz junge Mann an: »Die müssten vielleicht auch endlich
einfach mal ein alkoholfreies Bier ins Programm mit aufnehmen, da bei Betz, am Waldweg da!«
Da verschluckte sich Ulrich urtrüb und konstatierte nach gründlichem Durchhusten messerscharf: »Bier ohne Alkohol? Das ist ja wie Tee ohne Tee! Fehlten nur noch ekelhafte Mischgetränke! Und wie sollte man das Celler Alkoholfreie überhaupt nennen? ›Celler Nuller‹ oder wie? … Der Slogan wäre ja auch glasklar: ›Sei doch keine Trulla, trink ein Celler Nuller!‹«
»Oder vielleicht besser ›Celler Luft‹?!«, kommentierte daraufhin augenzwinkernd ein behornbrillter Pfiffikus Mitte 40, der noch einen Tisch weiter mit zwei Frauen circa Ende 20 zusammensaß. Die eine dieser beiden – Typ etwa zwischen kesser Schauspielerin und adrett-brünetter Geschäftsführerin – hatte gleich einen neuerlichen Werbespruch parat: »›Sei kein Schuft, trink Celler Luft!‹ Ja, nee, aber man könnte doch auch zum Beispiel den ›Müller City Express‹, diese Kleinbahn da für Stadtrundfahrten, an so 'ner Art Celler Biertresen vorbeileiten. Und da könnten die Touristen dann aussteigen, das Bier probieren – und es natürlich vor allem kaufen! Oder!« Sie hatte direkt den nächsten Geistesblitz!: »Oder man lässt in Celler Lokalitäten das machen, was Dawn und Stereopaul-Oli wohl vor vielen Jahren in ihrer guten altern ›Rio's‹-Kneipe gemacht haben: einen Etikettengestaltungswettbewerb! Wer gestaltet das beste neue Etikett fürs Celler Bier?«
»Das macht heute die KI«, sagte schulterzuckend Ulrich.
Jetzt schoss plötzlich die andere der zwei jungen Frauen vom Tisch des Pfiffikusses mit Hornbrille von ihrem Platz hoch. Alle guckten in ihre Richtung. »Wir brauchen eine Celler Bierkönigin!«, rief sie lauthals, ihren Bierhumpen in die Höhe haltend. Begeistert leuchteten ihre Augen unter Schwalbenschwanz-Lidstrichen und wildem Blondhaarschopf. »Ich würde sofort kandidieren!«, deklamierte sie weiter und grinste wie eine waschechte nordische Freya, nur eben mit tätowierten Armen und Septum-Piercing.
»Ein Hoch auf die Königin!«, schmetterte Ulrich ihr entgegen, verschnabulierte den letzten Großschluck aus seinem nun wieder leeren Glas und informierte umgehend die Kellnerin: »Ich nehm' noch eins! Für den guten Zweck. Und weil's schmeckt.« Und irgendwie nahmen aus eben diesem Grund alle noch eins und wussten:
Das Celler Bier, das brauchen wir!

An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.














