
HANNOVER. Die Niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, hat heute unter TOP 27 im Niedersächsischen Landtag gesprochen. Anlass war die Fragestunde „Reform der Strafprozessordnung zur Wiederaufnahme von Strafverfahren“ (Anfrage der Fraktion der CDU). Die Thematik hätte auch Auswirkungen auf den Mordfall Frederike von Möhlmann (CELLEHEUTE berichtete).
Auszüge aus dem Redebeitrag der Ministerin:
„Im Kern geht es um die folgende Frage: Jemand wird eines Mordes beschuldigt und angeklagt, aber am Ende freigesprochen. Kann man ihn erneut anklagen, wenn zeitlich danach neue handfeste Beweise auftauchen, die dringende Gründe für einen Schuldspruch und eine Verurteilung sind? Oder muss der Freispruch für die Ewigkeit gelten? (…)
Nach § 362 Nr. 5 StPO ist die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zu Ungunsten des Angeklagten nunmehr zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechens gegen eine Person verurteilt wird. (…)
Das Niedersächsische Justizministerium hat die Staatsanwaltschaften zum Jahresbeginn über die neue Rechtslage informiert. Die Staatsanwaltschaften prüfen derzeit in eigener Zuständigkeit und von Amts wegen, ob in einem abgeschlossen Verfahren wegen des Tatvorwurfs des Mordes ein Wiederaufnahmegrund nach § 362 Nr. 5 StPO in Betracht kommen kann. Diese Prüfung dauert an. (…)
Das Festhalten an einem Freispruch vom Vorwurf des Mordes trotz nunmehr vorliegender erdrückender Beweismittel für eine Täterschaft ist für unsere Rechtsordnung ein nicht hinzunehmender Zustand. Dabei denke ich, wie gesagt, vor allem an die Hinterbliebenen, die ihr Leben lang zusätzlich darunter leiden, dass die Tat nie gesühnt worden ist. (…)
Manchmal höre ich das Argument, mit der Erweiterung der Wiederaufnahmegründe gehe ein „Dammbruch“ einher. Es würden bald Forderungen erhoben, die Wiederaufnahme auf weitere Tatbestände auszuweiten. Darauf sage ich: Der Gesetzgeber hat schon einmal eine Entscheidung zulasten der Rechtssicherheit und zugunsten der Strafverfolgung getroffen – beim Ausschluss der Verjährung in Mordfällen. Hier hat es seitdem jedenfalls keinen „Dammbruch“ gegeben.
Auch ein weiterer Grund spricht meines Erachtens dafür, die Neuregelung nicht wieder in Frage zu stellen. Der Rechtsstaat muss viel aushalten. Das sage ich immer wieder. Häufig bei Bürgerdiskussionen, gewiss auch schon mal in diesem hohen Haus. Das sage ich, wenn Nazi-Aufmärsche mit Polizei-Hundertschaften geschützt werden müssen, oder wenn Querdenker kruden, aber straflosen Unsinn reden. Und jedes Mal sage ich es aus voller Überzeugung. Wenn es aber um Mord geht, dann sage ich das nicht. Bei einem Mordvorwurf ist das Fortbestehen eines Freispruchs trotz neuer aussagekräftiger Beweise für die Täterschaft nach meiner Ansicht kein Zustand, den ein Rechtsstaat ertragen können muss.“