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ELLE. Eine Umfrage an der vhs Celle unter mehr als einhundert Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund zur Lebensqualität führte zu erstaunlichen Resultaten. Die Ergebnisse können Handlungsanregungen für eine gelingende Integration geben, so das Team der vhs Celle.
„Ich bin so müde – ich kann heute nicht zum Kurs kommen …“ Dieser oft gehörte Satz war ausschlaggebend für ein „Demokratie leben!“-Projekt in 2021 an der vhs Celle mit Frauen und deren Töchtern mit Flucht- und Migrationshintergrund. Anhand eines 25 Fragen umfassenden Interviewbogens ermöglichten die Projektleiterinnen, Barbara Bartsch und Dunja Djamrak, den teilnehmenden Frauen, ihre Lebensqualität in Deutschland zu reflektieren und zu kommunizieren. „Wichtig war uns, den Frauen zu vermitteln, dass jede Antwort richtig ist, dass sie auf ihr Herz hören sollen“, betonen Bartsch und Djamrak. Bereits die sensible Ausformulierung der Fragen zu den Lebensbereichen „Allgemeines Befinden“ (Familie, Freunde, Freizeit), „körperliches und psychisches Befinden“, „Arbeit und Schule“ und „Mutter-Tochter-Beziehung“ erforderte ein erhebliches Maß an interkultureller Kompetenz.
Über hundert ausgefüllte Fragebögen konnten unter Corona-Bedingungen zu einem erfolgreichen Projektergebnis beitragen. Die Antworten wurden nach Herkunftsland, Alter sowie Anzahl der Kinder der Frauen differenziert. „Es fiel auf, dass sich unter den befragten Frauen die aus dem Irak am wohlsten in Celle fühlen, dann syrische Frauen und am wenigsten afghanische Frauen“, fasst Barbara Bartsch zusammen. „Ein Grund dafür könnte sein, dass irakische Frauen sich in Celle besser in ihren (ezidischen) Großfamilien aufgehoben fühlen als die syrischen.“
Die meisten Frauen mit dem Sprachniveau A1/A2 fühlen sich sehr wohl, die Frauen mit dem höheren Sprachniveau B2/C1 weniger. „Wir fragten uns, ob durch ein höheres Sprachniveau auch der Druck der Gesellschaft steigt“, so Bartsch.
Im Lebensbereich „Familie/Kinder“ gaben die Frauen mit Kindern über fünf Jahren an, sich weniger wohlzufühlen als diejenigen mit jüngeren Kindern. „Womöglich braucht die Belastung durch höhere Anforderungen wie Schule, vielleicht Arbeit doch mehr Unterstützung seitens der Gesellschaft“, stellen die Projektleiterinnen zur Diskussion. Die vielen unterschiedlichen Gewohnheiten und kulturellen Unterschiede kosten die Frauen oft viel Kraft. Das Motiv der Selbstverwirklichung ist kein selbstverständlicher Wert. „Familienorientierung und Verantwortungsgefühle, z.B. für die eigenen Eltern, führen oft zu Scham- und Schuldgefühlen, wenn man nicht helfen kann“, so Dunja Djamrak. „Das rührt nicht selten aus kulturellen Traditionen oder der eigenen Religion.“
Ganz oben auf der Wunschliste der Frauen standen Begegnungsräume mit Einheimischen und für die eigene Kultur sowie Unterstützung durch Ehrenamtliche oder Patenschaften. Insgesamt scheint weiterhin der alltägliche Kontakt mit Deutschen wichtig, um die erlernte deutsche Sprache anzuwenden und zu üben. „Konversationskurse und Sprachcafés wären eine Möglichkeit, in denen immer auch eine (psycho-)soziale Bindung entstehen kann“, sagt Dunja Djamrak, die regelmäßig am Freitagvormittag in der Trifft 17 eine Frauengruppe leitet, die sich parallel zur Umfrage entwickelt hat. Hier wurde auch die Auswertung der Umfrage mit den beteiligten Frauen diskutiert und klare Schlussfolgerungen für eine gelingende Integration getroffen.
Informationen zur Aufenthaltssituation stehen auf Platz eins, um die durch Duldung gegebene alltägliche Unsicherheit bald zu beenden. Gefolgt von Themen wie Kinderbetreuung, um ein adäquates Zeitmanagement in Deutschland zwischen Familie und Neuorientierung zu schaffen. Die berufliche Neuorientierung in Deutschland gelingt nur, wenn alle Anerkennungsmöglichkeiten für die bestehenden Qualifikationen bekannt sind. Beratung und Infos über berufliche Alternativen sind hier gefragt. „Persönlich muss die Zukunftsplanung als sinnvoll wahrgenommen werden, weil alle Prozesse viel Planung, Ausdauer und Frustrationstoleranz benötigen. Im Heimatland wurden etliche Entscheidungen eher spontan und kurzfristig getroffen“, weiß Djamrak.
Liliane Steinke, Geschäftsführerin der vhs Celle, zeigt sich beeindruckt von den Projektergebnissen. „Wir waren besonders von der Energie der beteiligten Frauen fasziniert.“ Sie mahnt allerdings an, dass der Frauenbildungsarbeit gleichzeitig eine aktive Männerarbeit wichtig ist, um die sich verändernden gesellschaftlichen Rollenbilder zu begleiten. Ihr Fazit: „Die bestehenden Beratungs- und Begleitungsprojekte für Migranten und Flüchtlinge bleiben weiterhin sehr wichtig und müssen um nachbarschaftlich orientierte Aktivitäten der sozialen Teilhabe und Interaktion erweitert werden. Dank der Förderung durch das Programm ‚Demokratie leben!‘ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben wir diese wertvollen Erkenntnisse erarbeiten können.
Bilden wir zusammen die Zukunft – wir haben viele Anregungen erhalten, die wir in 2022 umsetzen möchten.“
Fazit: Das wünschen sich Mütter und Töchter mit Migrationshintergrund
Die Mütter wünschen sich im Wesentlichen: eine gute Arbeit oder Ausbildung; in Deutschland akzeptiert (gute Nachbarn) zu werden; besser Deutsch lernen/können; einen guten Beruf für ihre Kinder; einen deutschen Pass; Frieden in der eigenen Heimat, um die Familie erleben und ggf. zurück zu können und einen Ort der Begegnung, um die eigene Kultur zu leben und bewahren zu können.
Die Töchter haben folgende Wünsche und Träume: gute Schulnoten; Unterstützung & Nachhilfe beim Lernen; liebevolle Lehrer und gute Freundinnen haben; fließend Deutsch sprechen/können, ggf. studieren und einen guten Job haben; einen deutschen Pass. Der Familie soll es gut gehen und sie möchten ihr Leben aus der Zeit vor Corona zurückhaben, ggf. mal einen schönen Urlaub – auch mal in der „alten“ Heimat.
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