CELLE. Der Tagesordnungspunkt ist für die Verwaltung von Gewicht – andernfalls würde Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge nicht ans Mikrofon treten. Er ergreift bei Ratssitzungen außerhalb von repräsentativen Pflichten nur selten das Wort, doch beim zu verhandelnden Verkauf von zehn Kindertagesstätten in der jüngsten Ratszusammenkunft ist der OB der erste Redner. „Wir beherrschen sie zu hundert Prozent. Sie bekommen unsere Infrastruktur, die Gebäudehüllen“, sagt er über die „allerland Immobilien GmbH“, die frühere „Städtische Wohnungsbau GmbH“ WBG, an die die Kita-Liegenschaften für neun Millionen Euro veräußert werden. „Wir geben nur ein operatives Instrument ab, kein strategisches“, fügt er hinzu.
Den Verkauf der zehn im Eigentum der Stadt befindlichen Kitas Altencelle, Altenhäger Kirchweg, Eilenstieg, Fuhsestraße, Garßen, Groß Hehlen, Neustädter Holz, Waldweg, Waldschmiede und Schlösschen, deren Verkehrswert sich auf 9.310.000 Euro beläuft, durchzusetzen, gestaltete sich im Vorfeld als politisch schwierig. Der Ausschuss für Wirtschaftsförderung und Liegenschaften hinterfragte noch in seiner alten Besetzung kritisch und folgte der Empfehlung der Verwaltung nicht; von der Tagesordnung der Ratssitzung am 14.10. musste das Thema gestrichen werden. Die Politik hatte noch Klärungsbedarf. Aus Sicht der Grünen wie der SPD ist dieser nun von Seiten der Verwaltung erfüllt worden. Die Aussagen der beiden Parteien fielen am Donnerstagabend fast identisch aus. Die offenen Fragen seien geklärt.
„Heute können wir feststellen, uns ein umfassendes Bild und nicht nur die Wirtschaftlichkeit oder Finanzmodelle bewertet zu haben“, sagte Stephan Ohl (Grüne). „Wir haben mit der allerland einen Spezialisten“, stellte Patrick Brammer (SPD) fest und bekräftigte damit die Ausführungen des Rathauses, das durch die Veräußerung Einspareffekte anstrebt. Da die Bereitstellung von Kindergartenplätzen eine gesetzliche Pflichtaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge darstellt, wird die Verwaltung die Häuser anmieten für neun Euro pro Quadratmeter und Monat. Dieses ist ein Angebot der allerland, das der Kalkulation im Falle von Eigenbewirtschaftung in Höhe von 9,47 Euro gegenübersteht. Daraus ergebe sich eine jährliche Einsparung in Höhe von ca. 42.900 Euro pro Jahr.
Vorgesehen ist, dass die frühere WBG die vollumfängliche Verantwortung für die Liegenschaften übernimmt, d.h. sie organisiert die Gebäudereinigung, die Pflege der Außen- und Grünanlagen, die Wartung und Instandhaltung der Spiel- und technischen Geräte.
Die Stadt, die verantwortlich bleibt für die Innenausstattung, verspricht sich Spareffekte bei den Personalkosten in den Fachdiensten Hochbau und Gebäudewirtschaft sowie in den Grünbetrieben. Kostenvorteile der hundertprozentigen Tochter der Stadt könnten sich beispielsweise aus schlankeren Verwaltungsstrukturen, der Konzentration auf eine Kernkompetenz sowie insbesondere aus besseren Marktzugangsvoraussetzungen ergeben. Argumente, denen sich die Ratsherren und -frauen nicht entziehen konnten, lediglich sieben Mitglieder bildeten die Ausnahme, darunter Dr. Jörg Rodenwaldt (Zukunft Celle) und Behiye Uca (Die Linke), die argumentierten: „Wir halten wenig davon, die Stadt als Konzern auszurichten. Wir wollen, dass die Stadt eine transparente und nachvollziehbare Haushaltsführung betreibt – ohne Finanztricks.“ Und auch Bernd Zobel folgte der Linie der Verwaltung und seiner grünen Partei nicht, er enthielt sich.
Nachfolgend die Ausführungen von Stephan Ohl (Grüne) und Behiye Uca (Gruppe Die Linke/Zukunft Celle) in voller Länge:
Stephan Ohl (Grüne):
Wir beschließen heute den Verkauf unserer städtischen
Kindertageseinrichtungen an die allerland Immobilien GmbH. Genauer
gesagt, geht es um die Gebäude und deren Außenbereiche. Und auch
wenn es in den letzten Jahren immer mal wieder
Schönheitsreparaturen gegeben hat, für eine grundlegende, auch
energetische Sanierung und damit ein Fitmachen für die Zukunft hat
es bisher nie gereicht. Weder die Mittel waren auskömmlich und wenn
wir ganz ehrlich miteinander sind:
Auch der Rat der letzten Jahre hat hier keine weitreichenden und
zukunftsorientierten Beschlüsse getroffen.
Meine Damen und Herren,
es gab im Vorfeld dieser heutigen Entscheidung viele Fragen, Sorgen
und Nöte verschiedener Gruppen und Institutionen und ich danke der
Verwaltung, dass nach anfänglicher (naja) Rumzickerei, dann
schließlich doch in mühevoller Arbeit alle Fragen beantwortet wurden.
Unsere Gruppe für Nachhaltigkeit und Vielfalt hat sich das Votum nicht
leicht gemacht: Neben zahlreichen Fragen, die wir gestellt hatten,
fanden auch intensive Gespräche mit der Geschäftsführung und dem
Betriebsrat der allerland statt. Heute können wir feststellen, uns ein
umfassendes Bild und nicht nur die Wirtschaftlichkeit oder
Finanzmodelle bewertet zu haben.
Klar ist aber auch, dass sich unser Fokus ab sofort auf die Dinge richtet,
die innerhalb der Gebäude passieren. Mit dem Verkauf der Gebäude
geben wir nicht die Verantwortung oder gar die Trägerschaft über die
Kinderbetreuung ab. Allerdings sind zurzeit noch erheblich größere
Baustellen erkennbar als eventuelle Gerüste an historischen Fassaden:
Denn, werte Kolleginnen und Kollegen, für das nächste
Kindergartenjahr im Sommer 2022 stehen annähernd 100 weitere
Betreuungsplätze zur Verfügung, die Personaldecke reicht aber jetzt
schon nicht aus, um den Bedarf an Erziehern zu decken.
Die Beantwortung unserer Fragen nach §16 der Geschäftsordnung
sollte dazu dienen, Ihnen allen die Notwendigkeit des Handelns zu
verdeutlichen.
Wenn wir heute mehrheitlich dieser Beschlussvorlage zustimmen,
dann sehen wir mit dem Verkauf auch gleichzeitig einen Startschuss
für eine umfassende Modernisierung, für eine Steigerung der
Attraktivität des Berufs der Erziehenden und für die Schaffung von
Umgebungen, in denen auch moderne Pädagogik Einzug halten kann.
Nicht nur Außen Hui, auch im Inneren müssen wir noch bessere
Voraussetzungen für die Zukunft unserer Kinder schaffen. Ich freue
mich im nächsten Ausschuss für Schule, Kinder und Jugend auf eine
fruchtbare Diskussion, viele Ideen und bestenfalls
fraktionsübergreifende Anträge und Beschlüsse, wenn sich diese an
den Bedürfnissen der Erziehenden orientieren. Nicht erst seit Corona
ist die Notwendigkeit einer nachhaltigen frühkindlichen Bildung eine
Bringschuld der Politik. Auch hier in Celle.
Die Einnahmen aus dem Verkauf sollten, nein sie müssen da hilfreich
sein.
Vielen Dank
Behiye Uca (Gruppe Die Linke/Zukunft Celle):
[Anrede],
es geht bei dem Verkauf der Grundstücke und der anschließenden
Anmietung schlicht und einfach darum, den städtischen Haushalt zu
sanieren. Oder anders gesagt: Ein bisschen mehr Spielraum für neue
Investitionen zu haben.
Beim letzten Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung aber werden wir
erfahren, dass die Haushaltssituation in diesem und im nächsten Jahr
doch schon ziemlich erfreulich aussieht. Das stellt sich die Frage: Muss
der Grundstücksverkauf tatsächlich sein? Oder anders gefragt: Haben
wir nicht hinsichtlich der Investitionen sowieso schon mehr Spielräume?
Also nochmal - und zur Verdeutlichung für die Bürgerinnen und Bürger:
Wir verkaufen an die Tochtergesellschaft allerland. Das sieht aus wie
„rechte Tasche – linke Tasche“. Aber: Dazwischen verdient in jedem Fall
eine Bank mit. Denn selbstverständlich finanziert allerland das über
Kredite.
Das Ganze soll für den städtischen Haushalt deshalb finanziell günstiger
werden, weil allerland auch die Bewirtschaftung der Grundstücke
kostengünstiger hinbekommt. So jedenfalls die Behauptung.
Wenn wir uns da gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich
machen, sieht es aber doch so aus: Dafür gibt es keinen wirklich triftigen
Grund. Die einzige Grundlage für diese Behauptung ist eine nicht
wirklich transparente Berechnung der Stadt. Und ich kann Ihnen schon
jetzt folgendes sagen: Wenn wir in zwei, drei Jahren mal nachfragen, ob
und wie diese Rechnung aufgegangen ist, werden wir als Antwort
bekommen: „Das lässt sich im Einzelnen leider nicht nachvollziehen“.
Sie merken schon: Die Linke/Zukunft Celle wird diese Vorlage ablehnen.
Und ein Letztes: Ja, wir halten wenig davon, die Stadt als Konzern
auszurichten.
Wir wollen, dass die Stadt eine transparente und nachvollziehbare
Haushaltsführung betreibt - ohne Finanztricks.
Wir wollen, dass die Stadt sich am Gemeinwohl orientiert. Und das gerät
- unseres Erachtens - bei solchen Geschäften zunehmend unter die
Räder.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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