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Anke Schlicht

Plädoyer für Europa – Starker Auftritt eines ehemaligen Oberbürgermeisters


Dr. h.c. Martin Biermann im MehrGenerationenHaus Foto: Peter Müller

CELLE. Die Ankündigung ließ schwerpunktmäßig Historie vermuten, doch was Dr. Martin #Biermann seinen Zuhörern im #MehrGenerationenHaus zu sagen hatte, nahm starken Bezug auf die aktuelle politische Situation und entpuppte sich als ein Plädoyer für #Europa.


Der frühere Celler Oberbürgermeister referierte zum Thema „Polens Beitrag zu Europa in Geschichte, Geistesleben und Gegenwart“, relativierte in diesem Zuge manch deutsche Selbstüberschätzung hinsichtlich seines Stolzes auf Dichter und Denker und stellte exemplarisch die Bereitschaft zur Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl von polnischer als auch von französischer Seite dar.

„Folgen wir doch bitte dem Grundgesetz, das uns den Auftrag gibt, ein Glied in einem vereinten Europa zu sein“, konstatierte Biermann und warb gleichzeitig für eine einheitliche europäische Armee. Seit 12 Jahren ist der frühere CDU-Politiker mit einer Polin verheiratet. „Dieses hat meine Bindung zu #Polen in erster Linie verursacht. Die Hälfte meiner Familie lebt dort“, stellte er seinen Ausführungen voran und ergänzte: „Wer das heutige Polen verstehen will, muss seine Geschichte kennen.“


Das Land könne aufgrund seiner geschichtlichen Entwicklung, seines stetigen Kampfes um Freiheit und Frieden Vorbild für ganz Europa sein. Seit seiner Entstehung war es geprägt von dezentralen Herrschaftsstrukturen und Machtteilung. „Es war ein liberales und offenes Land“, betonte der Referent. Die Regionen standen im Wettbewerb miteinander, die Wirtschaft und Wissenschaft florierten, dieses führte zur Einwanderung aus ärmeren Gegenden Europas. „Der Gedanke eines sich abschottenden Nationalstaates war den Menschen fremd. Man ging dorthin, wo man Arbeit finden und seine Familien ernähren konnte.“ Viele Juden machten davon Gebrauch, sie trugen wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung bei. Religiöse Konflikte gab es nicht, denn Missionieren ist nicht Teil des Judentums, das Christentum blieb prägend. Polen war multiethnisch und multikulturell.


In späteren Jahrhunderten wurde es zum Spielball benachbarter Staaten, Opfer von Intrigen und Machtversessenheit russischer, österreichischer und preußischer Herrscher, zwischenzeitlich sogar völlig von der Landkarte getilgt. Das Streben nach Freiheit und demokratischen Strukturen blieb laut Martin Biermann als prägender Charakterzug über alle politischen Entwicklungen hinweg ein typisches Merkmal des polnischen Volkes. Einer, der zum Sinnbild für diese Eigenschaft wurde, ist Lech Walesa. Der frühere Celler Bürgermeister hatte Gelegenheit, den Gewerkschaftsführer und Initiator des polnischen Volksaufstandes, der den Beginn einer Bewegung markierte, die letztendlich zum Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks führte, kennenzulernen. „Eine unheimlich bescheidene Persönlichkeit mit enormer emotionaler Tiefe“, beschrieb ihn Martin Biermann. „Er hat großen Eindruck bei mir hinterlassen.“ Nur einer von zahlreichen weiteren polnischen Persönlichkeiten, die Spuren auf der Weltbühne hinterlassen haben - Frédéric Chopin, Marie Curie, Nikolaus Kopernikus und viele mehr.


An einem, auf den dieses auch zutrifft, nicht für Polen und nicht im positiven Sinne, kommt ein Vortrag mit dem gewählten Titel nicht vorbei. Wiederholt stellt Martin Biermann Bezüge her zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und nennt den Namen Vladimir Putin. „Das ist kein Kommunist, das ist ein Faschist“, betont das frühere Stadtoberhaupt. „Und von wem wird er unterstützt? Von den rechten Parteien, die den Nationalstaat zurückwollen“, fragt Biermann rhetorisch und resümiert am Ende eines inhaltsreichen, pointierten Vortrags mit lebhafter anschließender Fragerunde: „Wir dürfen nicht zurückkehren zum Nationalstaat.“

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