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PHVN: "Lehrermangel völlig unterschätzt - wacht endlich auf"


Werbeflyer PHVN zur Landtagswahl


HANNOVER. Der Lehrkräftemangel ist nun schon in Satiresendungen wie extra-3 (NDR) oder der heute-show (ZDF) angekommen und wird für humoreske Beiträge genutzt. So werden Lehrkräfte als eine vom Aussterben bedrohte Art bezeichnet. "Man könnte darüber lachen, wenn die Lage nicht so ernst wäre", so Carla Hermelingmeier vom Philologenverband Niedersachsen (PHVN). In Deutschland herrscht seit Jahren Lehrkräftemangel. Bundesweit seien über 30.000 Stellen unbesetzt. Und es werde in diesem Schuljahr noch bedrohlicher: "Das Coronavirus ist immer noch da, der Winter steht uns noch bevor und es steht fest, dass weitere junge Menschen aus der Ukraine bei uns beschult werden müssen und sollen. Bis heute haben wir 17.000 ukrainische Lernende in unseren Schulen willkommen geheißen", so Hermelingmeier.

In einer aktuellen Mitteilung teilt der Verband mit, unzensiert und unkommentiert: Lehrermangel völlig unterschätzt: Wacht endlich auf, macht euch ehrlich und handelt! Das Institut der Deutschen Wirtschaft prognostiziert für das Schuljahr 2030/2031 bundesweit ein Fehlen von fast 70.000 Lehrkräften. „Es wird in Niedersachsen und deutschlandweit viel zu wenig unternommen, um dem Mangel einzudämmen. Die Politik hat jahrelang verschlafen, Vorsorge zu treffen“ kritisiert der Vorsitzende des Philologenverbandes, Dr. Christoph Rabbow. Mit dem Geburtenrückgang in den 90er Jahren wurden massiv Studienplätze für das Lehramt abgebaut. Auch die Arbeitsbedingungen haben sich massiv zugespitzt: Zu viel Verwaltungsarbeiten stehen zu geringe Aufstiegschancen gegenüber. „Solange Niedersachsen es sich erlaubt 670 Lehrkräfte vor den Sommerferien zu entlassen, um sie dann zum Schuljahresbeginn erneut einzustellen, wurde nichts begriffen.“, so Rabbow. Die Bundesländer werben sich gegenseitig Lehrkräfte ab und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Frau Prien, freut sich darüber, dass Schleswig-Holstein ein „Lehrkräfteeinwanderungsland“ ist. Was als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden müsste, offenbart eine ungehemmte Hemdsärmeligkeit zwischen den Bundesländern. In ganz Deutschland müssen gleiche Bildungsverhältnisse gelten, weil sonst auch Abschlüsse nicht mehr vergleichbar sind. „Bildung muss in den Ländern endlich als Chefsache begriffen werden. Es können nicht alle Probleme in den Kultusministerien abgelegt werden. Wann erkennt man endlich, dass Bildung mehr wert ist? Wir erwarten vom zukünftigen Ministerpräsidenten und vom Finanzministerium in der nächsten Legislaturperiode ausdrücklich mehr. Die Zeit für Tricksereien mit Alimentationen und Versorgung ist vorbei. Die politische Klasse muss aufwachen und verfassungskonform handeln“, fordert der Vorsitzende des PHVN.

Aber auch die Ampelregierung in Berlin ist gefordert: „Im Koalitionsvertrag wurde versprochen, den „Grundstein für ein ‚Jahrzehnt der Bildungschancen‘“ zu legen. Nur zu! Wir brauchen ein Sondervermögen Bildung“, betont Rabbow. Die KfW schätzt den Investitionsrückstand 2021 bei 45,6 Mrd. Euro. „Eine moderne Schulinfrastruktur ist Voraussetzung für ein leistungsfähiges Bildungssystem, denn Bildung ist eine zentrale Säule des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, so die KfW. „John F. Kennedy brachte es schon vor 60 Jahren mit einer Aussage auf den Punkt: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung“. Das allerdings scheint bei der politischen Klasse noch immer nicht angekommen zu sein. Die anstehende Wahl in Niedersachsen muss der Startschuss für ein Jahrzehnt der Bildung sein. Wir fordern endlich Taten statt warmer Worte“, so Rabbow weiter.

Niedersachsens Wahlberechtigte haben klare Vorstellungen von guter Schule Die Unzufriedenheit der niedersächsischen Wahlberechtigen mit der Schulpolitik der rot-schwarzen Landesregierung ist groß. In einer repräsentativen Umfrage der niedersächsischen Tageszeitungen (Forsa) zeigten sich zwei von drei Befragten mit der Bildungspolitik der Landesregierung weniger oder gar nicht zufrieden sind. Bei Befragten mit Kindern im Haushalt sind es sogar drei von vier Befragten. Vier von fünf Befragten vertreten die Ansicht, die Schulen in Niedersachsen bereiteten die Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend auf das Leben nach dem Abschluss vor.

Eine eindeutige Meinung haben die Niedersachsen bei der Frage nach dem Schulsystem: 58 Prozent sind für die Beibehaltung des gegliederten Systems mit Gymnasien und Real- oder Oberschulen und damit gegen eine Einheitsschule für alle Kinder nach der Grundschule so wie sie insbesondere die Grünen in ihrem Wahlprogramm fordern. Lediglich ein Drittel der Befragten würde eine flächendeckende Einführung von Gesamtschulen nach Klasse vier begrüßen.

„Die Niedersachsen sprechen sich für das aus, was die Verbände fordern: Keine Einheitsschulen für alle, sondern eine bildungs- und begabungsgerechte, individuelle Förderung für alle Schülerinnen und Schüler. Dies setzt selbstverständlich eine schulformbezogene Lehrkräfteausbildung voraus. Die Mehrheit der Niedersachsen teilt den Schulfrieden und lehnt ideologisch wiederkehrende Denkweisen in Schwarz-Weiß-Kategorien ab. Sollten nach der Wahl ideologische Irrwege, wie „die Einheitsschule mit der Einheitslehrkraft für alle“ beschritten oder die „Vision vom Stufenlehrer“ umgesetzt werden, wer- den wir uns als Anwälte der Wählerschaft verstehen“, stellen Rabbow und der Vorsitzende des Ver- bandes der Elternräte der Gymnasien Niedersachsens, Lothar Holger Fiedler, fest. „Gleiches gilt für die Wiedereinführung der Schullaufbahnempfehlung. Diese ist weder als Herabstufung von Haupt-, Real- oder Oberschulen zu sehen, noch bedeutet dies, dass an den Gymnasien eine „exklusive Elite“ heran- gezogen werden soll. Im Gegenteil: Jede Schulform hat ihre unangetastete Berechtigung und nur diese Vielfalt (einschließlich der entsprechend ausgebildeten Lehrkräfte!) und fachkundige Empfehlung wird den individuellen Ansprüchen der Schülerinnen und Schüler gerecht“, so Fiedler weiter.

Die Hälfte der Niedersachsen wollen Förderschulen beibehalten - Nichts spricht dagegen Niedersachsen hat bis 2018 die inklusive Beschulung für die Klassen 1-10 eingeführt und schafft Förderschulen ab. 45 Prozent der Befragten halten einen gemeinsamen Unterricht von allen Kindern mit und ohne Behinderung an allgemeinbildenden Schulen grundsätzlich für sinnvoll. 49 Prozent sprechen sich für die Beibehaltung von Förderschulen und damit für eine getrennte Beschulung aus. „Dieses Meinungsbild mit einer Mehrheit für den Erhalt der Förderschulen spricht eine deutliche Sprache. Der Landesregierung war der Elternwille immer äußerst wichtig, wie die Entscheidung zum Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule zeigt. Wenn der Elternwille einer zukünftigen Landesregierung wirklich wichtig ist, muss es eine Entsprechung bei der inklusiven Beschulung geben. Wer sein Kind in einer Förderschule besser gefördert sieht, muss ein entsprechendes Angebot direkt vor Ort nutzen können. Die Entsprechung des Elternwunsches diskriminiert gerade nicht“, appelliert Fiedler.

Sturmfest und erdverwachsen – Kuriositäten und Stilblüten sind nichts für die Niedersachsen Die Corona-Pandemie hat allen gezeigt, wie wichtig der Präsenzunterricht für die Schülerinnen und Schüler ist. Dies haben verschiedene Studien gezeigt, jüngst die Bildungsstudie der Robert-Bosch-Stif- tung, die auch Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern vor und während der Pandemie in den Blick genommen hat. Niedersachsens Wähler sehen dies genauso. Eine Mehrheit von 52 Prozent lehnt die Einführung einer Vier-Tage-Schulwoche, bei der am fünften Tag nicht in der Schule, sondern zu Hause gelernt wird, ab. „Auch eine Kürzung von Fachunterricht wie zuletzt in Berlin gefordert oder Stilblüten wie ein Referendariat ohne Prüfung in Mecklenburg-Vorpommern lösen das gravierende Problem des Lehrkräftemangels ebenso wenig wie eine schulstufenbezogene Lehrerausbildung. Statt immer neuer Kuriositäten brauchen wir tiefgreifende Antworten. Man muss das Problem schon an der Wurzel an- packen und dazu haben wir mit einem von uns geforderten Bildungsministerium, in dem beide Phasen der Lehrkräfteausbildung (Studium und Referendariat) koordiniert und organisiert werden, einen trag- fähigen Lösungsvorschlag unterbreitet. Nur so kann mittel- bis langfristig der Lehrkräftemangel behoben werden. Gute Bildungspolitik hat Antworten auf ungelöste Probleme, kurzfristige Flickschusterei und bildungspolitische Schnellschüsse offenbaren dagegen fehlende Weitsicht“, stellt Rabbow abschließend klar.