CELLE. Ein politisches Beben ging am Mittwochabend, 6. November, durch Deutschland. Während am Morgen wohl noch alle Blicke auf die USA und seinen neu gewählten Präsidenten Donald Trump gerichtet waren, ereignete sich am Abend das nächste politische Großereignis – hier in Deutschland. Erst sickerte durch, dass Finanzminister Christian Lindner dem Bundeskanzler Neuwahlen vorgeschlagen habe, dann entließ Olaf Scholz Minister Lindner. Das Aus der Ampel. Die Vertrauensfrage soll nun Anfang Januar gestellt werden, im März könnte es zu Neuwahlen kommen. Wer trägt die Hauptverantwortung für den Bruch? In öffentlichen Statements machten sich Scholz und Lindner zuletzt heftige Vorwürfe. Und auch die Celler Bundestagsabgeordneten kritisierten selten so scharf die anderen Parteien. Ein Überblick:
Dirk-Ulrich Mende (SPD)
sieht Lindners Vorgehen als parteitaktisch und sieht die SPD als gut gerüstet für die möglichen kommenden Neuwahlen.
"Die Ereignisse sind ja nicht wie ein Erdbeben über uns gekommen. Den Bruch hat der FDP Vorsitzende Lindner ja längst vorbereitet und seit Wochen forciert. Mit seinem gezielten „Scheidungspapier“ hat er in alter FDP-Tradition einen wirtschaftspolitischen Aufhänger gesucht und gefunden, um sein Scheitern und seine mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zu kaschieren.
Verkehrsminister Wissing zeigt dagegen, wie Verantwortung getragen wird! Ich persönlich habe diese Entscheidung auch als befreiend empfunden. Das gilt sicher auch für große Teile der Partei. Lindner handelt aus parteipolitischen Gründen und orientiert sich anders als Bundeskanzler Scholz nicht am Allgemeinwohl. Wir werden versuchen, mit wechselnden Mehrheiten, die erforderlichen Gesetze auf den Weg zu bringen. Da ist auch die CDU unter staatspolitischen Gesichtspunkten gefordert. Sie hat noch vor wenigen Tagen gesagt, dass sie dazu bereit sei. Jetzt kommt der Lackmustest, ob sie dazu steht, denn die Wirtschaft und die Menschen können nicht monatelang bis nach den Wahlen auf Entscheidungen warten. Denn wir befinden uns ja aktuell in unzähligen notwendigen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren.
Die SPD ist gut aufgestellt. Dieses von der FDP verursachte Scheitern der Ampel setzt viele Kräfte frei. Wir werden, wie 2017 in Niedersachsen, nicht irgendwelchen Intrigen weichen, sondern kämpfen und am Ende die Wahlen gewinnen."
Angela Hohmann (SPD)
lobt Scholz für sein Durchgreifen und betont die Verantwortung der SPD, bis zu Neuwahlen für Stabilität zu sorgen.
"Olaf Scholz hat gestern eine wichtige Richtungsentscheidung für unser Land getroffen. Damit hat der Streit und der Stillstand ein Ende. Trotz intensiver Verhandlungen und eines Kompromissvorschlags von Seiten des Bundeskanzlers konnte ein Entgegenkommen Christian Lindners nicht erreicht werden. Wir haben verhandelt und Kompromisse angeboten. Wir haben ausgehalten, dass die FDP immer wieder bestehende Absprachen aufgekündigt hat und neu verhandeln wollte.
Diesen Stillstand hat Olaf Scholz nun zu Recht beendet. Die SPD wird ihrer Verantwortung für Deutschland gerecht. Deutschland braucht jetzt Klarheit, Stabilität und Sicherheit. Deshalb streben wir einen geordneten Übergang zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr 2025 an. Christian Lindner hat strategisch nur mit Blickrichtung auf die FDP gehandelt. Die Verantwortung, die ein Minister der Bundesregierung gegenüber unserem Land, den Menschen, der Wirtschaft und der Gesellschaft in Deutschland generell hat, kam für ihn erst nach seinen parteipolitischen Kalkülen.
Für die SPD gilt: erst das Land und dann die Partei.
Bis zu einer Neuwahl des Bundestags werden wir die Bundesregierung mit den Grünen gemeinsam fortführen. Die Bundesregierung ist handlungsfähig und wird Entscheidungen, die keinen Aufschub dulden im Bundestag zur Abstimmung stellen."
Anja Schulz (FDP)
verteidigt Lindners Reformkurs und wirft Scholz vor, die FDP zu verfassungswidrigem Handeln gedrängt zu haben.
"Christian Lindner hat mit seinem Papier einen guten Neustart vorgeschlagen, um Deutschland wieder an die Spitze zu bringen. Doch die SPD und Grüne haben die Reformvorschläge abgelehnt, hatten aber auch keine guten und zielführenden Gegenvorschläge. Es gab keine Bereitschaft sich überhaupt mit dem Papier zu beschäftigen. Die Gespräche, die stattgefunden haben, hatten den Charakter der Nötigung. Der Kanzler wollte eine Haushaltsnotlage und damit die Schuldenbremse aufheben. Hier haben wir schon einmal einen Fehler in dieser Legislaturperiode gemacht, die vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wurde. Als Rechtsstaatspartei passiert uns das kein zweites Mal. Denn am Ende hat Scholz Lindner wieder dazu aufgefordert, die Verfassung zu brechen. Das wäre in Karlsruhe gescheitert.
Lindner hat dem Kanzler daher angeboten, die Koalition in geordneten Verhältnissen zu beenden, einen Nachtragshaushalt zu beschließen, um handlungsfähig zu bleiben. Das wollte Scholz nicht. Nun als Minderheitsregierung weiterzumachen, ist grotesk. Die Vertrauensfrage sollte schnellstmöglich gestellt werden. Ich wüsste nicht, wie eine Minderheitsregierung jetzt wichtige Entscheidungen auf den Weg bringen soll.
Wir sind als Partei bereit für den Wahlkampf und gehen jetzt in den Wahlkampf damit, dass wir konsequent für unsere Prinzipien eingestanden haben und weiter stehen. Weil es uns nicht um Posten geht, sondern darum unser Land voranzubringen und wichtige Weichenstellungen vorzunehmen."
Henning Otte (CDU)
fordert zeitnahe Neuwahlen noch in diesem Jahr. Er vermutet, dass Scholz schon länger mit der Regierung brechen wollte.
"Das Scheitern der Ampel-Regierung vollzog sich etappenweise und begann mit der "Zeitenwende Rede" des Bundeskanzlers, weil sie von ihm nie richtig umgesetzt worden ist. Deutschland braucht jetzt schnell Stabilität! Dazu muss der Bundeskanzler spätestens in der kommenden Woche die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Mein Eindruck ist, dass Olaf Scholz mit seiner vorbereiteten Rede den Bruch seiner Regierung länger geplant hat. Der Bundeskanzler hat seine Mehrheit im Deutschen Bundestag verloren. Die schwierigen nationalen und internationalen Herausforderungen erfordern es, parteipolitisches Taktieren jetzt zu unterlassen und das Wohl des Volkes und des Landes in den Mittelpunkt zu stellen. Einen Stillstand kann sich Deutschland gerade jetzt nicht mehr leisten."
Thomas Ehrhorn (AfD)
sieht das Scheitern der Ampel als Chance für einen politischen Kurswechsel – am liebsten so wie in den USA.
"Bereits das Ergebnis der US-Präsidentenwahl gibt uns große Hoffnung, dass es auch in Deutschland zu einer Rückkehr zu einer rationalen, interessengeleiteten Politik im nationalen Interesse kommt. Der Bruch der Ampelkoalition am gestrigen Abend fügt sich in unsere Hoffnung gut ein. Letztlich musste sich wohl insgeheim die Ampel-Regierung selbst eingestehen, dass sie an ihrem eigenen weltfremden Dilettantismus gescheitert ist. Zu unübersehbar ist inzwischen für jeden, dass die Scholzregierung durchweg in Deutschland einen migrations-, wirtschafts- und energiepolitischen Scherbenhaufen angerichtet hat und ihr Konzept, immer mehr vom Falschen tun zu wollen, nichts zu dessen Beseitigung beitragen kann.
Die kindischen Versuche von Olaf Scholz und Christian Lindner, sich wechselseitig ihr gemeinsames Scheitern in die Schuhe schieben zu wollen, haben wir als einen für Deutschland unwürdigen Abgang einer Regierung empfunden.
Ich erwarte von Olaf Scholz, dass er nun umgehend den Weg für Neuwahlen freimacht. Die Probleme hierzulande sind so groß, dass keine Zeit verloren werden darf, mit einer neuen Regierung das Ruder herumzuwerfen, bevor Deutschland vollends Schiffbruch erleidet. Deutschland braucht auf nahezu allen Politikfeldern eine Abkehr vom jahrelangen Irrweg. Das fordert die AfD seit jeher."