Kolumne Celle – ein Gedicht, Folge 3: »Schaufenster-Schau«
- Extern
- 13. Juni
- 3 Min. Lesezeit

Von Adson Ulkner Schertz
Ein ›Handy‹ genanntes Mobiltelefon? Besitze ich nicht. Ein sogenanntes ›Tablet‹? Haha. Ich besitze nicht einmal einen Personalcomputer mit Internetzugang. Wenn ich tippe oder wische, dann nur Lottozahlen bzw. den Boden. (Diese Texte hier verfasse ich handschriftlich, mit Füllertinte auf Papier. Die Leute von CelleHeute müssen sie fleißig abtippen!) Ein Fernsehgerät nenne ich wohl mein eigen, benutze es aber nur selten (Lottozahlen und Wetterbericht). Meine Späher in den digitalen Welten haben mir jedoch berichtet, dass man im Virtuellen, im Sozialmedialen, im weltweiten Netzgewebe heute einem Dauerfeuer an penetrant auf einen einschwallenden Werbebotschaften ausgesetzt sei. Selbst vor Werbevideos (z.B. Filmvorschauen) komme erst noch Werbung – schnell, grell, laut und mit penetrant sich anwanzendem Geduze! Wer tut sich das freiwillig an?!
In welch schönem Kontrast dazu steht doch das gute alte Schaufenster! Ich war doch jetzt kürzlich vom Warenhausleerstand in der Poststraße weitergewandert via Großem Plan und letztlich beim quicklebendigen Bekleidungshaus am Südwall gelandet. Und das hat viele Schaufenster – und alle sind sie immerzu so wunderbar, so kreativ und mit viel Kunsthandwerkskenntnis gestaltet (jener Tage – à la saison – u.a. mit überdimensional großen Frühlings- oder Frühsommerblumen aus Papier)! Wie still und schön bieten sie sich (und die mithin präsentierten Waren) dar – eben ganz im Gegensatz zum stroboskopischen Gelärme der Werbefetzen in den diversen Bildschirmgeräten! Edles Kunsthandwerk der Schaufenstergestaltung! Mögen trotz des weitgehenden Niedergangs des Einzelhandels die guten Gestalter und Dekorateure (m/w/d) immer eine Anstellung finden können! – Übrigens: Wie ich hier so vor den Schaufenstern stand, sah ich plötzlich in einem von ihnen eine solche Gestalterin walten. Und dann passierte das:
Schaufenster-Schau
Aus einer Pling- und Blink- und Brabbelwelt
voll lautem Augenmerk- und Ohrenklau,
die niemals die Reklameschnauze hält,
beseh ich eine stille Fensterschau.
Bekleidungswaren-Diorama-Schick:
Pastellen blüht ein Frühlingsblütenmeer.
Und noch viel enger fesselt meinen Blick:
Die Deko-Frau geht selbst dort hin und her!
Mit sicher künstlerischem Profigriff
gibt sie den Dingen ihren letzten Schliff –
und lächelt plötzlich mich hier draußen an!
Ach nein, sie hat an mir vorbei gezielt,
denn hinter mir, in meinem Rücken, spielt
ein quietschfideler Quetschkommodenmann.
Der antwortlächelt, wie er spielt: geschickt.
Mein Lächel-Echo ist im Keim erstickt.
Tja. So kann's gehen. Und wenn ich so darüber nachdenke, ist's mir oft schon so gegangen, dass ich auf Menschen wie unsichtbar gewirkt habe, maximal wie ein Schemen, ein Schattenschein, ein schwach glänzender Geist. Häufiger inzwischen habe ich zu mir selbst gesagt: Bist du womöglich bloß noch ein Phantom, ein Gespenst und Spukgespinst – und verdrängst du nicht lediglich die Tatsache, dass du in körperlicher Präsenz längst nicht mehr über und durch die Welt wandelst? – Nee, was für'n Quatsch!, schalt ich mich dann immer gleich wieder, und ergänzte mahnend: Du sollst dir dein Selbstmitleid nicht zur Geistergeschichte heroisieren bzw. hochstilisieren! …
Jedenfalls: Immerhin hat dieses kleine Schaufenster- und Schaufensterdekorateurinnen-Erlebnis zu den obigen Versen geführt. Wäre die Sache anders verlaufen, quasi glücklich, wäre womöglich ein klebriges Kitschgedicht herausgekommen – und von Kitsch bin jedenfalls ich kein Freund. Melancholie ist eben ehrlicher.
Übrigens ist inzwischen, im Juni, aus jenen überlebensgroßen, allzu frühen Rosenblüten aus Papier eine andere Dekoration geworden, zumal doch die Mode mit den Jahreszeiten wechselt: In den Modehaus-Schaufenstern hat man nun – gewitzt abstrahierend – den Sommer eingefangen in symbolischen Gebilden, die jeweils aus fünf unterschiedlich buntfarbigen sog. ›Schwimmnudeln‹ und einem Liliput-Hula-Hoop-Reifen bestehen. Erstere weben sich dabei, lebendig sich windend, durch und um das Reifenrund, wie lauer Sommerwind und Badeseewellen. Gut gemacht! Davon können sich diverse theatralische Bühnenbildner eine Scheibe abschneiden!
Der »Quetschkommodenmann«, der Akkordeonspieler, der jahrelang im Französischen Garten und dann vorm Südwallparkhaus seine Akkorde spielte, ist einstweilen auch verschwunden. Er fehlt mir. Unsere kurzen Gespräche haben mir immer bestätigt, dass ich kein Geist war und bin. Es sei denn, er ist selbst einer gewesen. Unsere letzte Begegnung miteinander werde ich noch schildern müssen.


An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.