Kolumne Celle – ein Gedicht, Folge 2: »Guanofelsen«
- CELLEHEUTE
- 30. Mai
- 2 Min. Lesezeit

Von Adson Ulkner Schertz
Als wäre ich das Zentrum eines Tiefdruckgebiets, sickerte ich von Norden her auf das Celler Innenstadtgebiet nieder. Mit anderen Worten: Ich stiefelte den Harburger Berg hinab und über die Aller hinweg in das Fachwerkgeflecht hinein, und ich hatte schlechte Laune. Das ist mein alltäglicher Gemütszustand; ich war aber durchaus bereit, mich aufmuntern zu lassen, wiewohl ich nicht glaubte, dass dieser Kleinstadt das gelingen könne. Und es gelang ihr auch nicht – jedenfalls vorerst nicht –, ganz im Gegenteil. In der Poststraße nämlich gewahrte ich den Leerstand jenes traditionsreichen Warenhauses, jenes Konsumtempelkarrees. Das war zunächst so, als treffe Minuspol auf Minuspol: Der
Kaufhausklotz und ich stießen einander ab. Dann aber glomm in mir, quasi wie ein Pluspol, eine verklärte Rückschau auf. Ich erinnerte mich plötzlich an die schönen, fernen, sorglosen Tage der späten 70er und frühen 80er Jahre, als mein Großmütterchen mich gütig grienend durch die Warenwelt geleitet hatte; und eine abschiedsschmerzliche Kümmernis drang in mich. (Dass meine Großmutter, bei der ich aufwuchs, übrigens kaum je bis gar nie gütig griente, sondern vielmehr meist polterte und bölkte und mich vermutlich bloß grob die Rolltreppe abwärts bugsiert hatte, um unten im Restaurant des Hauses auf orangefarbenen Plastikschalenstühlen ein eiliges Mittagsmahl in uns
hineinzuschieben, ignorierte ich offensichtlich. Meine Großmutter: harte, herzliche Flüchtlingsfrau, masurische Feldarbeiterin mit Knochenbrechergriff!) Und so kamen mir die folgenden Zeilen in den Sinn:
Guanofelsen
Kaufhaus, Kaufhaus, Rudiment, fossiles,
trüber Fensteraugen graues Starren:
Einstmals gab es in Dir Buntes, Vieles,
heute muss ein Nichts aufs Ende harren.
Alte abgestreifte Quetschkommode,
löchrig, tonlos liegst Du, wirkst so klotzig,
schweigst zum Ende Deiner Episode,
eher mollvoll traurig, wenig trotzig.
Kleinkarierte Außenwände falten
sich als Paravents aus Grau und grauer.
Zwischen Schieferschein und stumpf basalten
blutet Fahlbeton aus Furchen Trauer.
Wo in guten Zeiten Treppen rollten,
rieseln Stäube glitzerstill in Staube;
wo die Menschen nicht mehr kaufen wollten,
gurrt der geile Tauber um die Taube.
Und so tauchst Du in das Abendrot:
zeitzerschlissen, voller Vogelkot.
Aber gemach, Leser, gemach, grämt Euch nicht zu sehr! Ja, all dies bis hierher ist beherrscht gewesen von Trübsinn. Doch nachdem ich mich endlich losgerissen hatte vom Anblick der Fachwerkanmutung in Beton, die einmal ein quicklebendiges Kaufhaus gewesen war, ging ich weiter, die Hypotenuse des Großen-Plan-Dreiecks entlang und durch die Westcellertorstraße zum Südwall hin – und da (bzw. hier) wurde mir der allergrößte Kontrast offenbar! Ein anscheinend nach wie vor intaktes Bekleidungshaus strahlte aus zig Schaufenstern durch hochprofessionelle Dekorationsgestaltung eine frühlingshafte oder frühsommerliche Lebendigkeit aus! Und angesichts dieser kunstfertig hindrapierten Papierblütenpracht blühte auch mein Gemüt mit auf, das sonst so schwer im Sonnengeflecht mir lastet.
Und nein, Celle ist nicht Sankt Andreasberg und das Celler Land noch längst nicht der darniederliegende, dahinsiechende Oberharz. Die hiesigen Kiefernklobürsten stehen fidel und wiegen sich im Wind; der Borkenkäfer ficht sie nicht an. Ich ahne Leben und Geschichten.


An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.














