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Der mit dem Wald lebt und das Meer liebt


Peter G. Verweij in seinem mitten im Wald gelegenen Atelier Fotos: Peter Müller

DIESTEN. Der Gastgeber brüht den Kaffee mit der Hand auf, die blau-weißen Porzellan-Tassen spült er mit heißem Wasser aus, bevor serviert wird. „Das habe ich mir so angewöhnt“, sagt der Mann mit Schürze und Hut in einer Umgebung, die als rustikal zu bezeichnen ist. Hier wird hand-gearbeitet – mit den unterschiedlichsten, fast ausschließlich gebrauchten Materialien: Holzstücke aus der Karibik, Waschkörbe voller Getränkedosen, Brunnen- und Kochtopfdeckel, Fensterrahmen und Fensterläden, Farbtöpfe aus dem Baumarkt und eine kleine Nagelschere. „Das ist mein wichtigstes Handwerkszeug“, erläutert Peter G. Verweij.


Der Weg zu ihm führt raus aus dem kleinen Bauerndorf Diesten, nahe Bergen gelegen. „Ach, Peter, ja, der wohnt mitten im Busch“, weiß ein Mann auf dem Gelände des Hofladens mit der präsentierten Anschrift sofort etwas anzufangen und erklärt, wie zu fahren sei. Kein Zweifel, hier muss es sein, ein verrostetes Fahrrad voll mit achtlos weggeworfenen Konsumartikeln am Zaun hängend ist das erste Kunstobjekt, das einen Eindruck vermittelt vom Schaffen des Peter G. Verweij. Vorbei an grünen Riesen und einigen ausgedienten Wohnwagen - „die haben Bhagwan-Anhänger vor Jahrzehnten hier deponiert“, wirft der Hausherr erklärend ein - geht es in sein Atelier, ein kleines Holzhäuschen mit Terrasse, gusseisernem Ofen, Staffeleien, einem originalen Holzküchenschrank, Tisch und Stühlen. Von seiner Liebe zum und Respekt vor dem Wald hat der 81-Jährige berichtet während der kurzen Wegstrecke, so anschaulich und inmitten praller Natur, dass die Werkstücke – wie er seine Objekte selbst nennt -, die im Atelier warten, eine echte Überraschung sind. Knalliges Meerblau dominiert, bunt, verspielt, fast ein bisschen künstlich sehen die Exponate aus. Und da ist sie wieder, diese Gegensätzlichkeit – Feinheit inmitten von Rustikalem, Artifizielles inmitten einer durch und durch natürlichen Umgebung.


PITTORESKE EYECATCHER

„Ich mache Eyecatcher“, sagt er mit Nachdruck, und es ist einer der ganz wenigen Momente, in denen anklingt, dass er gebürtiger Niederländer ist. Er spricht Deutsch ohne Akzent, aber das Englische ist für ihn gängig, „Artist“ steht auf seiner Visitenkarte. Einer, der die Welt bereist hat, sich mit 15 in eine raue Männergesellschaft begab. Peter Verweij wurde 1941 in Amsterdam geboren, begann eine Lehre als Lithograph, die er abbrach, um auf einem Handelsschiff anzuheuern, er kochte für die 45-köpfige Besatzung, und wenn er sie nicht beköstigte, dann malte er sie und besserte sich mit den Portraits seinen Lohn auf. Einige Jahre war er auf den Meeren der Erdkugel unterwegs. „Die Welt war ganz anders, es gab noch keinen Tourismus. Bangkok zum Beispiel war ein Fischerdorf“, blickt der einstige Seemann in einer Weise zurück, die besagt, hier bei einem unerschöpflichen Thema gelandet zu sein. Und dennoch erzählt der feingliedrige ältere Herr sparsam. „Ich bin dankbar, es hat mich geprägt.“


Alles Weitere offenbaren seine Objekte, die auf den ersten Blick so freundlich und fröhlich wirken: Hellblaue Grundierung, darauf Fische in allen Farben, kleine aus Getränkedosen hergestellte, d.h. zugeschnittene Meeresbewohner, die sich tummeln. Kleine Inseln, gearbeitet aus Karibikholz, das ihm seine dort lebende Tochter mitbringt, Siedlungen im Kleinstformat – Leinen mit trocknender Wäsche inklusive - komplettieren ein harmonisches Miteinander. Alles ist so winzig, der Betrachter schaut genau hin, zunächst auf den Mittelpunkt des Bildes, „schön“, das Auge wandert tiefer, und hier ist Schluss mit „ach, wie schön“, die Idylle hat ein Ende, Unrat, menschen-gemachte Ablagerungen brechen das Motiv, symbolisieren den nicht recyclebaren Plastikwahnsinn unserer Konsumwelt auf Kosten unserer Ozeane. Das ist das Thema und das Anliegen des Peter G. Verweij, Aktionskünstler möchte man ihn nennen.


Auf die Interaktion des Objektes mit dem Betrachter kommt es ihm an, das geht durchaus auch mal über Werkstücke hinaus. Wer sein Anwesen passiert, konnte gelegentlich auf Stühle treffen, die im Baum hingen, oder Türen mit Rahmen, die mitten in der Landschaft zu durchschreiten sind und die Perspektive z.B. auf einen Waldweg verändern. „Was sollte das nun?“, wird er dann gefragt. „Na, hast Du nicht genau hingeschaut, was da oben im Baum anders ist, hat es dich nicht für einige Minuten so gefesselt, dass Du alle Sorgen vergessen hast?“, antwortet er dann. Er möchte die Menschen erreichen nicht mit grob vordergründigem Protest, sondern „Schlechtes erfüllen mit Hoffnung und Optimismus“. „Flora und Fauna vermitteln mir meine Botschaft, die ich weitergebe. Und die Meere, jeder zweite Atemzug kommt aus dem Ozean“, sagt er mit Nachdruck. Das Fahrrad an seinem Grundstückszaum animiert zum Aufheben von achtlos Weggeworfenem. „Jeder kann ein bisschen was beitragen“, appelliert er. Er möchte die Menschen wachrütteln, sensibilisieren, die Schönheit der Schöpfung wahrzunehmen und zu bewahren.


SCHON ALS KIND IM WALD ZU HAUSE

„Wissen Sie, was die Menschen machen, wenn sie spätabends oder nachts allein durch den Wald gehen?“, fragt der Vater von zwei Töchtern. „Sie pfeifen! Um die Stille, die ihnen unheimlich ist, zu durchbrechen“. Er pfeift nicht, ihm macht der Wald keine Angst, schon als Kind kannte er dieses Gefühl nicht. „Meine Mutter packte mir einen Rucksack, und ich blieb eine Nacht im Wald“, erzählt er. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie aus Amsterdam evakuiert in ein kleines Dorf. Dem Jungen gefiel die Umgebung. Mit der Stadt kann er bis heute nichts anfangen. „Wald bedeutet für mich Rückzugsgebiet, wo ich allein sein kann. Die Geräusche, der Wind, der Geruch sind mir vertraut, ich fühle mich beschützt, dort bin ich zu Hause.“


Wenn er gefragt wird, erzählt Peter Verweij von seiner Kindheit. Das Foto eines Mannes, der ihm ähnelt, fällt ins Auge, andere Aufnahmen zeigen eine Ballett-Tänzerin. „Das ist mein Bruder, er ist schon verstorben, aber immer bei mir. Und das ist meine zweite Ehefrau, sie war früher Primaballerina“, berichtet er. „Was Frauen leisten, das ringt mir Respekt ab“, sagt er. Seine Mutter habe die Familie allein durchgebracht. Und was war mit dem Vater? „Der war im Widerstand, er kam nicht zurück wie so viele andere, auch in Belgien und Frankreich war das so“, antwortet er. Wäre er nicht gefragt worden, hätte er es nicht erwähnt. Momente, die mehr sagen als jedes Wort.


Warum ist er dennoch in Deutschland? Und schon so lange? „Unser Schiff legte in Rotterdam an, und dann ging es gleich ab zum Wehrdienst, abkommandiert nach Bergen-Hohne“, schlägt er ein neues Kapitel auf, das im Jahr 1963 auf dem Truppenübungsplatz in der Heide begann. „Es gab hier so viele nette Fräuleins“, setzt er lächelnd hinzu. Nicht nur die Frauen gefielen ihm, auch die Gegend, er fand das Bäuerliche seiner Kindheit wieder, 1965 wurde er aus der Armee entlassen und blieb.


Peter G. Verweij ist feinsinnig, erscheint fast ein wenig zerbrechlich – er wählt die Worte, spricht leise, bewegt sich auf zwei Krücken behutsam fort. Seine Ausstrahlung unterstreicht sein heutiges Wirken, aber ab und zu während zweier Besuche schimmert eine weitere Facette seiner Persönlichkeit durch. Ja, er ist ein Artist mit Anliegen, aber er ist auch ein Lebenskünstler, dem eine gewisse Bodenständigkeit eigen ist, der sich durchschlug, dessen Erfahrungsschatz sich nicht speist aus Begegnungen in Galerien und Museen, sondern aus täglichem Broterwerb in ganz unterschiedlichen Jobs und aus dem dazugehörigen Aufeinandertreffen mit Menschen und Milieus. „Zunächst habe ich im Sägewerk gearbeitet, ich wollte erfahren, wie die Leute hier ticken“, blickt er zurück auf die Zeit nach dem Militärdienst. Sie sagten ihm zu, dass sie wenig sprachen, empfand er als Vorzug. Verweij verdiente Geld unter anderem als Schuhputzer, Eisverkäufer und Engelsmaler im Allgäu. Seine zweite Frau Berenike lernte er vor 22 Jahren in Koblenz kennen, er war als Messevertreter unterwegs. Sie folgte ihm in die dörfliche Einsamkeit Niedersachsens, wenige Meter vom Atelier entfernt steht das Zuhause des Ehepaars, ebenfalls aus Holz, mit blauen Fensterläden.


ATELIER ALS AUSSTELLUNGSORT

Fünf Jahre engagierten sie sich gemeinsam in der Bürgerinitiative gegen die Ansiedlung des Schlachthofes in Wietze. „Es war eine aktive, schöne Zeit, in der wir viele interessante Menschen kennengelernt haben. Ich bin dankbar dafür“, berichtet Peter Verweij. Seine Werke außerhalb seines Ateliers auszustellen, ist die absolute Ausnahme. Er würde sich freuen, wenn er in der Eingangshalle des Allgemeinen Krankenhauses in Celle Gelegenheit dazu bekäme. Bis es eventuell so weit ist, freut er sich über Besucher in seiner Arbeitsumgebung. „Offenes Atelier“ ist auf einer Tafel gleich neben dem markanten Drahtesel zu lesen. Die Einladung anzunehmen, ist ein Schritt hinaus aus dem Alltag, birgt die Chance eines Perspektivwechsels und zur Ruhekommens. Im Nachhinein wird klar, wieso der nach dem Weg befragte Mann im Hofladen lächelte, als er die Adresse auf der ihm hingehaltenen Visitenkarte las: Peter G. Verweij, Artist, Lindhorster Weg 39, 29303 Bergen-Diesten, mobil: 0152-05910987.



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