top of page
Premium-Sidebar-Hintergrund-580x740.jpg
Mobil Krankenkasse_Premium Sidebar_Bild.png
Mobil Krankenkasse_Premium Sidebar_Text.png

Anzeigen

20251217_Tanzhaus_HM.gif
ah_speckhahn_5_ford_puma_top_rectangler_300x160_NEU.gif
Jetzt-online-gehen_300x160.jpg

Celle – ein Gedicht, Folge 11: »Wohlklangs Geist«

ree

Von Adson Ulkner Schertz


Ich ging mit Erwin (auch genannt Dreihundertund-Erwin, Flunkerkunde Nr. 1, Der Baron, Erwin vom Pferd etc.) durch den Schlosspark. Es oktoberte knapp unter zehn Grad, und im Schummern des Abends war eben noch so die gelborangene bis rote Färbung des Laubs an den Bäumen zu erkennen. Erhaben schwieg uns das üppig schattierte Schloss an, das sich unten im Schlossgraben wie in dunkler Tinte spiegelte. Wir waren die einzigen Passanten und fühlten uns daher ein bisschen wie bei Edgar Allan Poe oder wie Nebenfiguren in einem Schauerroman. Wir waren unterwegs zum »festen Haus«, also zur Justizvollzugsanstalt – bzw. eben zum Knast. Denn dort wollte Erwin eine seiner berüchtigten Räuberpistolen untermauern: von wegen das mit dem »Celler Loch« 1978 sei in Wahrheit gar keine Aktion des Verfassungsschutzes zur Einschleusung eines Informanten in die RAF gewesen; nein, er selbst, Erwin, sei damals ausgebrochen, habe sich freigesprengt! … Tja, Erwin der Flunkerbaron eben.


»In Herbstnächten wird er hier im Schlosspark öfters gesichtet, wie er als semitransparente Furie die Schlossbergwiesen rauf- und runterfegt.«

Als wir auf Höhe der Bronzeplastik von »Hengst Wohlklang bei der Freiheitsdressur« waren, packte mich Erwin plötzlich in der Armbeuge: »Halt, Adson! Mit fällt just was ein!«

»Was du nicht sagst, Erwin.«

»Hast du schon mal Wohlklangs Geist gesehen?«

»Hast du schon mal für länger als fünf Minuten die Klappe gehalten?«

»Im Ernst, Adson! In Herbstnächten wird er hier im Schlosspark öfters gesichtet, wie er als semitransparente Furie die Schlossbergwiesen rauf- und runterfegt. Immer im Herbst, komisch. War's vielleicht Herbst, als er 1986 gestorben ist? Das Denkmal steht schon seit 1985 hier, aber es soll ja so gewesen sein – und jetzt wird’s gruselig, Adson –, dass ein irrer Fan Wohlklangs im Landgestüt dem Hengstkadaver das Herz entnommen hat, vor lauter Trauer, weil der das Ableben des Tieres nicht akzeptieren konnte und dessen Seele irgendwie bewahren wollte. Das Herz hat er zunächst eingefroren und später dann in dieses Denkmal hier verpflanzt.«

»Hat er das aufgeflext, das Denkmal, und wieder zugeschweißt, oder was?«

»Ja wieso? Mit dem WIG-Verfahren kann man Bronze schweißen!«

»Und unsichtbare Schweißnähte erzeugen?«

»Es war ein reiner Meisterschweißer!«


Das war wirklich die dämlichste, abstruseste Fabel, die Erwin mir je aufgetischt hatte. Ich bastelte später trotzdem ein Gedicht daraus:


[Wohlklangs Geist]


Wenn in Nebeln Herbst durch Celle kriecht,

oktoberrostig Laub von Bäumen rieselt,

das am Boden in den Winter siecht,

zerwühlt von Igeln, raubereift, benieselt:

 

Vorsicht dann im Schlosspark in der Nacht!

Es galoppiert ein Geist auf Wiesen, Hügeln.

Wohlklang ist der Name dieser Pracht

von Untothengst, und niemand kann ihn zügeln.

 

Ist dem Bild als Bronzegussfigur,

worin sein kaltes Herz man einst versteckte,

feurig wild entstiegen, Kreatur

des Grausens, die ein Freiheitsdrang erweckte.

 

Schnaubt und schäumt und sprengt, der Pferdegeist,

und steigt und springt und trampelt Menschen nieder,

die er in den Wassergraben schmeißt.

Den Toten kreischt er irre Wieherlieder.

 

Daran denkt beim Schlossberggrabenbad,

wenn eure Füße durch den Modder streichen,

sommers, schulfrei, Party akkurat:

Ihr watet fäulnistief durch Wohlklangs Leichen.


Erwin, neben mir stehend, ruckte plötzlich mit dem Kopf nach vorn, drehte diesen leicht seitlich und vergrößerte mit einer Handfläche seine Ohrmuschel: »Audi, Adson, audi!«

»Hä?«

»Horch!«

»Was ist denn?«

»Hörst du's nicht auch, das Wiehern?«

Ich horchte, pro forma bzw. um eben mitzuspielen, in die schon tiefer gewordene Dunkelheit des Schlossparks hinein.


Hengst


»Da kommt's wieder!«, sagte Erwin – und ließ auf der Stelle eine Sperrfeuersalve Flatulenzen fahren, dass es klang, als würde eine Herde abgehalfterter Brauereipferde in ein fauliges Moor galoppieren. Und unter Erwins Grienen stieg auch gleich das olfaktorische Grauen empor: So sehr senfgaste es in mein Riechorgan hinein, dass ich im bellenden Hustenanfall chronisch asthmatisch zu werden drohte.

»Mensch, Erwin«, röchelwürgte ich hervor, »du, du … Geruchsgewalttäter! Bist du irre? Hier so mit – öchett, würg – Chemiewaffen rumzuspielen?!«

»Darm mit Harm.«

»Erwin!«

»Kleiner Ulk, mein Schertzilein!«

 

Und dann gingen wir endlich weiter Richtung Trift und JVA, wo wohl oder übel die nächste ratzeputzige Geschichte anstehen würde.


ree

An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.

CELLEHEUTE

CELLEHEUTE – die crossmediale Online-Tageszeitung

CELLE ONLINE MEDIEN GMBH

Bahnhofstraße 1-3 • 29221 Celle

Telefon 0176-14683078

BLAULICHTHEUTE
CELLE GESTERN
CELLEHEUTE TV
  • Facebook - Weiß, Kreis,
  • YouTube - Weiß, Kreis,
  • X
  • Instagram - Weiß Kreis
  • RSS

Impressum     Datenschutz     AGB

bottom of page