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Wehrmachtsmantel und Quelle-Katalog – Auf Zeitreise mit Alice und Arno Schmidt


Einblicke in die Kleideschränke von Arno und Alice Schmidt gewährt die neue Ausstellung im Bomann-Museum Celle. Fotos: Peter Müller

CELLE/BARGFELD. „Sie hat gestopft und geflickt, während ihr Mann ihr vorlas“, berichtet die Arno-Schmidt-Expertin und langjährige Geschäftsführerin der gleichnamigen Stiftung Susanne Fischer über das Ehepaar Alice und Arno Schmidt. Schauplatz des trauten Beisammenseins war ein kleines Holzhaus im kleinen Dorf Bargfeld. Dass die beiden es bewerkstelligt haben, in diesem bescheidenen Domizil fernab der Großstadt nicht nur einen literarischen Schatz zu erschaffen, sondern auch noch eine Textilsammlung von kulturhistorischem Wert anzulegen, war bisher nicht bekannt. Die gestern Abend offiziell eröffnete Schau „Vom Wert der Kleidung“ zeigt erstmals den Nachlass an Kleidungsstücken und Schuhen, die die Schmidts trugen und aufbewahrten. Die Arno-Schmidt-Stiftung und das Bomann-Museum entwickelten gemeinsam das Konzept für die bis zum 7. Juni 2022 in Celle laufende, sehr sehenswerte Ausstellung und erzählen sowohl 60 Jahre textile Alltagsgeschichte als auch Biografisches über das Ehepaar aus einer neuen Perspektive.

Etuikleid, Knickerbocker, gestopfter Pullunder, Pillbox-Hut aus Amerika, Strandanzug, ein Kostüm, das Alice Schmidt bei der Goethe-Preis-Verleihung in Frankfurt trug, sind nur einige Beispiele für die rund 1000 Exponate, von denen das älteste aus dem Jahr 1937 und das jüngste aus den 80er-Jahren stammt. Neben dem jeweiligen Original zeigen Fotos, wie sie angezogen aussahen, bei welchen Gelegenheiten sie getragen wurden. Texttafeln und Zitate fehlen natürlich nicht, sind sogar von herausgehobener Bedeutung, denn manches Alltagsutensil fand Eingang in Schmidts Bücher. „Er hat viel mit Metaphern gearbeitet, es gibt textliche Kontexte“, erklärt die Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bomann-Museums Hilke Langhammer, die gemeinsam mit Susanne Fischer und Friedrich Forssman kuratiert hat.

Schmidts Werke stehen nicht im Ruf, einfach zu sein, ganz im Gegenteil. Umso mehr überrascht es, dass der Autor von „Zettel‘s Traum“ im Quelle- und Neckermann-Katalog blätterte oder auch bei „Witt“ nachschlug, um zu schauen, wie er das Personal seiner Romane und Erzählungen anzuziehen hatte. Gelegentlich setzte er sogar die eigene oder die Garderobe seiner Frau literarisch um. Seine Lederjacke taucht auf in „Zettel‘s Traum“, als „metallisch blauen Kegel“ verewigte er Alices knallblauen Regenmantel in „Das steinerne Herz“. Alice stellte jedoch keinerlei Verbindung her zum Inhalt ihres Kleiderschranks, was bei ihrem Mann wiederum größtes Unverständnis hervorrief.

Die Rollen waren klar verteilt. „Sie war durchaus stolz, die Frau von Arno Schmidt zu sein“, berichtet Susanne Fischer. Die enorme Zahl an Textilien – sie besaß allein 90 Blusen -offenbart jedoch eine Diskrepanz zu den Anlässen, die Gelegenheit für Präsentation geboten hätten. Denn das Paar lebte sehr zurückgezogen. Manches Foto zeigt eine modewusste, elegante Dame, sie achtete auf Qualität, besserte sorgsam aus, nichts durfte ihr verlorengehen, auch dann nicht, als die Not der Nachkriegszeit vorüber war. In der Fülle der geschmackvollen und hochwertigen Kleidung spiegelt sich eine Frau, die womöglich gerne eine größere Bühne gehabt hätte. Sie besaß sogar Pelze. Am Beginn des Rundgangs trifft der Besucher auf Arno Schmidts Wehrmachtsmantel, am Ende präsentiert sich Alice Schmidts Persianer, im mittleren Bereich erzählen wiederum die aus Wolldecken gearbeiteten Mäntel von den schweren Jahren nach dem Krieg.

Alice Schmidt bewahrte alles akribisch auf, konnte nichts wegwerfen. Textilien spielten eine große Rolle in ihrem Leben, in gewissem Sinn standen sie sogar Pate für ihre Ehe. Denn sie lernte ihren Mann in einer Textilfabrik in Schlesien kennen, sie arbeitete dort als Sekretärin, er als Buchhalter. 1937 wurde geheiratet und der Grundstock gelegt für die Sammlung, die in ihrer Gesamtheit etwas widerspiegelt, das unserer Gesellschaft zwischenzeitlich abhanden gekommen ist, mit dem Thema Nachhaltigkeit jedoch eine Renaissance erlebt. Die Wertschätzung, die das Ehepaar den Dingen entgegenbrachte, mag auch etwas zu tun gehabt haben mit einer Erfahrung, die Arno Schmidt in seiner Kinderzeit in Hamburg gemacht hatte. Er blickte zurück mit den Worten: „In all den Hamburger Jahren nie ein neues Kleidungsstück auf dem Leib gehabt.“





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