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Kolumne Celle – ein Gedicht, Folge 10: »Heimat«

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Von Adson Ulkner Schertz (featuring Ilo)


Ich saß beim Steinbömer im Antiquariat »Cellensia« und schmökerte in alten Büchern über Celle – besonders intensiv dann in einem Bändchen (von Werner Alex) über Ausspannwirtschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert (also über Gaststätten zur Zeit der Pferdeomnibusse, mit Übernachtungsmöglichkeiten für Kutscher und Pferd). Und wie ich so dasaß im muckeligen Antiquariatsgehäuse, zwischen kirschbaumhölzernen Regalen voller Lektüreschätze, schlug in mir wieder das Goldene-Zeitalter-Syndrom durch (so nennt eine Figur in dem Film Midnight in Paris die verdrängende Gegenwartsflucht hinein in eine nostalgisch vergoldete Vergangenheit):


Markttage voller Planwagen, Schlachter und Bäcker in jeder Straße, ganze Dorfschaften und Kirchspiele in ihren Celler Stammwirtschaften: Weiße Taube, Weißer Schwan, Drei Kronen, Goldene Sonne, Goldenes Posthorn, Goldener und Blauer Engel. … Die Lokale gerammelt voll auch mit Böttchern, Büchsenmachern, Buchbindern, Drechslern, Gürtlern, Handschuh- und Hutmachern, Kürschnern, Kupfer- und Nagelschmieden, Schiefer- und Dachdeckern, Schlossern, Schneidern, Schornsteinfegern, Tischlern, Töpfern, Zimmerleuten – und aus dem Hintergrund brüllt ein Gesangsverein seine Gassenhauer durch Rauchschwaden und Bierdunst. – – – Damals, als die echte Welt noch weit war, als sich das Leben vor Ort abspielte und die Städtchen pulsierten. … Aber heute? Zu großen Teilen ist alles so entseelt (was gar nicht Celle-spezifisch ist), weil so viel Sein abgewandert ist aus der materiellen Wirklichkeit in die Räume des Virtuellen (always online) und alle immerzu abwesend sind. … Kann man da überhaupt noch von Heimatstadt sprechen?


[Adsons Heimat]


Es kann keine Heimatstädte mehr geben:


Wo wollen wir wohnen?

In Handy-Applikationen!

Wie wollen wir leben?

Dem Virtuellen ergeben!

Als e-WWW-ige Cloud-Gestalten.


Kann Spuren von Heimat enthalten:


ein Gang durch Celler Fachwerkfassaden,

Erinnerungslichter aus Jugendjahren,

sich haltende Echos alter Dekaden,

ein heimwehes Bewahren zerstiebender Schwaden.


Mein Zuhause auf der Heimatbrache

ist der Spielplatz meiner Muttersprache.


Dieweil dieses Gedicht in meinem Hirnkasten seine Form anzunehmen sich anschickte, zahlte ich dem Antiquaren den geforderten Preis für das Büchlein über die Ausspannwirtschaften und trat hinaus auf den Markt. Bei der Filiale der Buchhandelskette bog ich links in die Neue Straße ein, mit dem Ziel Dammaschwiese (via Pfennigbrücke), wo ich, auf einer Parkbank sitzend, noch ein wenig dem Ausklingen des Sommers zusehen wollte. Auf Höhe der Hausnummer 25, gerade noch so am Brandplatz gelegen, hörte ich plötzlich jemanden nach mir rufen: »Ey! Silav, Adson, Junge! Çawa yî? Wie geht’s dir, Bruder?«


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Ilo, erfolgreicher yezidischer Geschäftsmann (und -führer), Freund und Dichterkollege, saß da an einem Tischchen vor jener sehr heutig schicken Restaurant-Bar-Lounge-Trias und winkte mich zu sich zum »Moments«: »Lange nicht gesehen – aber hier bist du und keinen Tag gealtert, mashallah! Lass zusammen ein Steak essen, ich lade dich ein!« Also ging ich eben vorerst nicht zur Dammaschwiese, sondern setzte mich unter die Markise der steilen Modernität und Restauration mit hochgradig freundlichen Bedienungen. Und nach dem Essen trug ich Ilo (eine Dekade jünger als ich) mein eben erdachtes zeitkritisches Gedicht vor. Der schürzte zwar anerkennend die Lippen und nickte sacht, sagte dann jedoch klar: »Du bist gut – aber du musst auch mal positiver an das Leben gehen. Ich schwöre, Lo, das würde dir guttun!« Und dann kramte Ilo – ich schwöre, Lo, das stimmt – eine altertümliche Schreibfeder und ein Fässchen Tinte hervor (woher eigentlich?) und fing an, auf einem kleinen Kellnerblock eine Art lyrischen Gegenentwurf zu verfassen:


[Ilos Heimat]


Mit sechs Jahren in der Fremde gelandet,

ein yezidisches Kind, in Celle gestrandet.

Mit der Familie die Heimat verlassen,

eine Reise ohne Wiederkehr – kaum zu fassen.


Die Ängste im Gepäck, sie wogen so schwer,

wir lernten die Sprache und Kultur mehr und mehr.

Seit Jahrzehnten sind viele von uns nun hier,

Celle wurde zur Heimat, ein Teil auch von mir.


Adson, das Virtuelle ist wie flüchtiger Rauch,

es schlägt keine Wurzeln, verweht wie ein Hauch.

Heimat jedoch wächst im gelebten Leben,

wo Menschen einander Halt und Nähe geben.


Ich trage Heimat im Herzen,

wo Liebe wohnt,

wo Wärme ist,

wo Alltag und Erinnerung sich treffen –

das ist mein Zuhause.


Tja, so konnte man's natürlich auch sehen. … Später erzählte mir Ilo noch von einem Dorf nahe Batman (nicht dem Fledermausmann, sondern der Stadt im Südosten der Türkei). Dort wurde er geboren und dorthin reist er inzwischen mehrmals in jedem Jahr. In den Sommermonaten sei es Usus, draußen zu schlafen, in Außenbetten auf Terrassen und Balkonen, unter dem weiten Nachthimmel, jenem bitumendunklen Universumszelt, perforiert von Abermyriaden Fixsternlöchern, und in der juliwarmen, waldkieferduftigen Luft Südostanatoliens spüre man den seelenvollen Atem des ganzen großen Weltalls.


Da ging mir ein Lichtlein auf! Um das Heute in Celle wieder heimatlicher zu machen, könnte man alljährlich, im Juli oder im August, eine Nacht veranstalten, in der alle, die im Landkreis mitmachen wollen, im Stadtgebiet draußen schlafen! Im Innenstadtbereich würde man große Flächen bereitstellen für das Schlafen unter freiem Himmel, in allen Straßen könnte man in dieser Nacht kampieren, im Schlosspark, im Französischen Garten sowieso, und »Handys« wären ganz tief in Rucksäcken zu vergraben und nur für Notfälle zu gebrauchen. Dann ginge man herum und lachte und grillte miteinander und redete über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Für den Sommer 2026 rufe ich also auf zur ersten »Großen Celler Draußenschlafnacht«!



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An dieser Stelle erscheint vierzehntäglich, jeden zweiten Freitag, die Kolumne »Celle – ein Gedicht« von Adson Ulkner Schertz. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Namen um ein – nun ja: ulkiges Pseudonym handelt. Die Kolumnentexte landen in analoger Form auf Papier bei uns im Redaktionsbriefkasten. Wir sind bemüht, jeden Text mit einem passenden Foto zu illustrieren. Der ersten Kolumne war als »Autorenfoto« dieses Bild beigefügt.

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