CELLE. Nach dem Auseinanderbrechen der Berliner "Ampel" wird der Bundestag nun schon am 23. Februar gewählt. Und so bot sich beim Neujahrsempfang von "Unternehmer Celle" am Donnerstag die erste Gelegenheit, bei einer Podiumsdiskussion in Erfahrung zu bringen, was die Kandidaten aus dem Wahlkreis Celle-Uelzen in der kommenden parlamentarischen Legislaturperiode erreichen wollen. Im Rückblick auf die vergangenen Jahre zeigten sich die vier eingeladenen Politiker dabei durchaus selbstkritisch.
„Wir haben zu wenig Mut gehabt, zu wenig investiert“, sagte der Vorsitzende der Celler Grünen, der im November in Unterlüß als Direktkandidat bestimmte Daniel Beer, über die gut dreijährige Regierungsbilanz der Grünen. Doch bereits in den 16 Regierungsjahren unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel sei zu wenig investiert worden.
„Wir müssen aus Fehlern lernen, die auch wir in unserer Regierungszeit gemacht haben.“
„Wir müssen aus Fehlern lernen, die auch wir in unserer Regierungszeit gemacht haben“, blickte auch der langjährige Celler CDU-Bundestagsabgeordnete Henning Otte auf Merkels Kanzlerschaft von 2005 bis 2021 zurück. „Es sind zu viele Kompromisse gemacht worden um des lieben Friedens willen.“
„Wir sind alle lernfähig“, betonte auch die Celler SPD-Parlamentarierin Angela Hohmann und versprach Nachbesserungen beim umstrittenen Bürgergeld: „Es gibt gute Gründe, etwas zu ändern.“ Die Fraktionsvorsitzende der SPD im Celler Kreistag sitzt seit vergangenem Jahr im Bundestag und betonte: „Ich erlebe den Bundestag seit März letzten Jahres von innen – und manches erschreckt mich auch! Manchmal frage ich mich: Warum sind da nicht mehr Praktiker?“
Schneefall bremst großes Interesse nicht
Der trotz winterlicher Bedingungen mit mehr als 100 Teilnehmern gut besuchte Empfang des jungen, branchenübergreifenden Arbeitgeberverbandes „Unternehmer Celle“ im Prinzenpalais am Prinzengarten stand auch unter dem Eindruck der schlechten Stimmung im Lande. „Nur noch 47 Prozent erklären in Umfragen, Deutschland sei ein attraktiver Wirtschaftsstandort“, sagte Verbandschef Jörg Bode, der das Podium moderierte.
FDP-Parlamentarierin Anja Schulz machte die „extrem überbordende Bürokratie“ für die Probleme des Standortes Deutschland verantwortlich und nannte Kosten von jährlich 146 Milliarden Euro allein durch die Verwaltung. „Wir sind international überhaupt nicht mehr konkurrenzfähig.“ 48 Prozent des Einkommens müssten mittlerweile nur für Steuern und Sozialabgaben verwendet werden - „da macht das Arbeiten nicht mehr viel Spaß.“
Verbandsklage umstritten
„Wir müssen raus aus der Verbotskultur“, forderte Henning Otte. Das 2002 vom damaligen grünen Umweltminister Jürgen Trittin eingeführte Verbandsklagerecht im Umwelt- und Naturschutzrecht führe zu langwierigen Verzögerungen bei vielen Projekten. Ein Punkt, bei dem er Widerspruch vom Bündnisgrünen Beer erntete: „Das Verbandsklagerecht ist eine Errungenschaft. Wir sollten froh sein, dass wir diese Regelungen haben.“ Überhaupt werde zuviel schlecht geredet: „So ermöglichen uns die Steuern das gute Leben, das wir in Celle haben.“
Zuversichtlich zeigte sich auch Angela Hohmann: „Die Lage wird sich stabilisieren.“ Durch die Zuwanderung werde es bald viele neue Beitragszahler etwa für das Rentensystem geben. „Das sind die Beitragszahler der Zukunft, weil wir selbst nicht genug Kinder bekommen haben.“
"Kurzfristiger Förderstopp zerstört Vertrauen"
Natürlich war auch die Krise der deutschen Automobilindustrie ein Thema beim Neujahrsempfang von „Unternehmer Celle“. Niedersachsen ist wirtschaftlich viel stärker von Wohl und Wehe des Volkswagenkonzerns betroffen als andere Bundesländer von anderen Herstellern. Auch im Celler Land seien Autozulieferer bereits in Kurzarbeit.
Unternehmen brauchen Planbarkeit, betonte FDP-Parlamentarierin Schulz. Der kurzfristige Stopp bei der E-Mobilitätsförderung durch das Wirtschaftsministerium habe Vertrauen zerstört, kritisierte sie den damaligen grünen Koalitionspartner. „Ihr wart mit an der Regierung, ihr habt zugestimmt“, monierte da CDU-Parlamentskollege Otte. Der kritisierte zudem, die Europäische Union setze mit dem „Green Deal“ falsche Schwerpunkte. Woraufhin Schulz süffisant auf Ottes Parteifreundin Ursula von der Leyen verweisen konnte: „Welcher Partei gehört eigentlich die EU-Kommissionspräsidentin an?“
AfD als "Elefant im Raum"
Die FDP setze auf Eigenverantwortung und keine neuen Schulden, betonte Anja Schulz. „Wir brauchen die Wirtschaftswende. Wenn das der kommenden Bundesregierung nicht gelingt, stärkt das bei der darauffolgenden Parlamentswahl nur die AfD.“ Damit war, ganz am Ende des Diskussion, auch der „Elefant im Raum“ benannt: Thomas Ehrhorn, der seit 2017 im Bundestag sitzende Abgeordnete der in Meinungsumfragen an zweiter Stelle nach der Union rangierenden Rechtspopulisten, war zum Politikpodium der Arbeitgeber nicht eingeladen worden.
Die große Bedeutung der Bundestagswahl am 23. Februar und der folgenden Regierungsbildung dürfte jedenfalls jedem Teilnehmer des Jahresempfangs der Celler Wirtschaft deutlich geworden sein. Henning Otte hatte es so zusammengefasst: „Ein zweites Scheitern nach der Chance, die jetzt von der Ampel vergeigt worden ist, kann sich Deutschland nicht mehr leisten.“