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*Aktualisiert*: Urteil gegen IS-Rückkehrerin: Drei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe


Foto: Peter Müller/Archiv

CELLE. Nach elf Verhandlungstagen hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts eine heute 34-jährige Angeklagte insbesondere wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt. Die Freiheitsstrafe beträgt drei Jahre und drei Monate. Die Frau wurde laut Mitteilung des Oberlandesgerichts in fünf Fällen verurteilt, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerer Entziehung Minderjähriger und mit Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung.


Nach den Feststellungen des Senats hat sich der Anklagevorwurf weitgehend bestätigt, teilt das OLG mit. Das Gericht schildert den Fall wie folgt: Die Angeklagte reiste 2014 gemeinsam mit einer 16-jährigen Frau nach Syrien aus und schloss sich dort der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ an. Dabei nahm sie ihre damals vier Jahre alte Tochter gegen den Willen des Vaters mit. In Syrien heiratete sie nacheinander mehrere IS-Mitglieder. Indem sie sich um den Haushalt kümmerte, ermöglichte sie es ihnen, vor allem an Kampfhandlungen teilzunehmen. Sie erzog ihre Tochter sowie ihre in Syrien geborenen zwei Söhne im Sinne der radikal-islamistischen Lehre des IS. Ihre zu diesem Zeitpunkt sechsjährige Tochter nahm sie zu der Steinigung einer Frau mit und zeigte ihr Hinrichtungsvideos. Über Twitter veröffentlichte sie Kurznachrichten, in denen sie ihre Zustimmung zu den Anschlägen des IS am 14. Juli 2016 in Nizza und am 18. Juli 2016 in Würzburg zum Ausdruck brachte. Schließlich nutzte sie im Haushalt eines Sklavenhändlers für einige Tage die Arbeitskraft einer vom IS versklavten Jesidin aus und überwachte sie bei einem Gang in die Stadt.


Die Angeklagte war seit ihrer Gefangennahme in Syrien Anfang des Jahres 2019 mit ihren Kindern in zwei kurdischen Lagern untergebracht. Sie wurde am 7. Oktober 2021 bei ihrer Einreise über den Flughafen Frankfurt am Main festgenommen.


Die Angeklagte habe die Taten weitgehend eingeräumt. Ihr Geständnis wurde in der durchgeführten Beweisaufnahme überwiegend bestätigt. Sie hat sich laut OLG nach den getroffenen Feststellungen zwischenzeitlich glaubhaft von dem IS distanziert. Weiter hat der Senat zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass sie keine „Hardlinerin“ war und der Anschluss an den Islamischen Staat für sie auch eine Flucht aus ihrer vorherigen Lebenssituation darstelle.


Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Generalbundesanwaltschaft hatte eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten beantragt, der Verteidiger der Angeklagten eine von zwei Jahren und 10 Monaten. Der Senat hat wegen weiterhin bestehender Fluchtgefahr die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.


Der Dachverband des êzîdischen Frauenrats e. V. (Sîwana Meclîsa Jinên Êzîdî) und die "Feministische Organisierung: Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ kommentieren das Urteil in einer Pressemitteilung wie folgt:


"Der drei Monate anhaltende Gerichtsprozess war immer wieder durch Widersprüche zwischen den Aussagen der Romiena S. und dem vorliegenden Beweismaterial gekennzeichnet sowie durch Relativierungen eigener Schuld und Gedächtnislücken ihrerseits.


Die Beschuldigte nannte zu Prozessbeginn eine hohe Anzahl bekannter bereits verurteilter oder getöteter deutscher „IS“-Mitglieder sowie in diesem Zusammenhang in Deutschland aktuell Angeklagter. Nach zwei Jahren Aufenthalt im Camp Al Hol und Camp Roj in Syrien wurde sie in der Rückholaktion vom 07. Oktober 2021 mit weiteren 7 Frauen und 23 Kindern in die Bundesrepublik Deutschland eingeflogen und umgehend festgenommen. Seitdem saß sie durchgehend in Untersuchungshaft.


Zeugin im Prozess war auch die Nebenklägerin: Die benannte versklavte Êẑîdin hat die Gefangenschaft überlebt und kam frei. Nun kämpft sie vor allem für die Anerkennung der "IS"-Verbrechen, nicht nur für sich, sondern für die gesamte êzîdische Gemeinschaft: Der Haupttäter sei in ihrem Fall nicht hier und würde vermutlich wie viele andere Männer juristisch nicht verfolgt. Nur ein Bruchteil des ihr angetanen Leids habe daher in diesem Verfahren aufgeklärt werden können. Dennoch sei die Gelegenheit, ihre Geschichte vor Gericht erzählen zu können und nicht als bloße Zeugin einer Tat vor einem deutschen Gericht zu sprechen, für sie sehr wichtig. Der Angeklagten wiederum sei zum Tatzeitpunkt genau bewusst gewesen, dass die Frau als Sklavin gefangen gehalten werde und was dies für Gräueltaten umfasste. Sie habe ihre erzwungenen Dienste trotzdem nicht abgelehnt und sie habe ihr, trotz eines günstigen Moments, nicht die Gelegenheit zur Flucht gelassen. Für die Nebenklägerin sei es vor allem wichtig, dass das ihr zugefügte Unrecht in den Urteils-Ausführungen ausreichend gewürdigt werde. Zwar wurde die Terrororganisation „IS“ im Urteil als besonders grausam dargestellt, bezüglich der konkreten Taten nahm der Senat jedoch keine besonderen Ausführungen vor und stellte eher die Milde im Fall der Straftat „Beihilfe zur Sklaverei“ in den Vordergrund.


Anlässlich der Urteilsverkündung fand am Morgen des 01. Juni eine Kundgebung unter dem Motto „Gerechtigkeit für die Êzîd:innen“ vor dem OLG in Celle statt, zu der der Dachverband des êzîdischen Frauenrats e. V. (Sîwana Meclîsa Jinên Êzîdî) und die "Feministische Organisierung: Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ aufgerufen hatten. Nûjiyan Günay, Vertreterin des êzîdischen Frauendachverbands, sagte zur juristischen Ahnung: „Dass die Personen zur Rechenschaft gezogen werden, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, begrüßen wir als SMJÊ. Auch wenn Prozesse gegen einzelne Personen positive Zeichen sind, kann damit der Genozid-Feminizid an den Êzîd:innen nicht aufgearbeitet werden. Dafür wäre die Gründung eines Sondertribunals wichtig, das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg.“


Auch die feministische Organisierung teilt diese Auffassung. Mila Borkner, eine Vertreterin, erklärte: „Auch die "IS"-Prozesse in Deutschland sind von historischer Bedeutung. Sie sind Teil der Aufarbeitung einer Terror-Herrschaft und vor allem des Genozid-Feminizids an den Êzîd:innen seit 2014." Aus diesem Grund beteiligten sich beide Organisationen an einer zivilen Prozessbeobachtung in Celle. "Ich finde es teils erschreckend, wie gering Urteile bei solch schwerwiegenden Anklagepunkten wie "Völkerrechtsverbrechen Sklaverei" ausfallen und frage mich, ob der Blick teils zu sehr von Mitleid und einer falschen Genderperspektive geprägt sein könnte.“ äußerte Borkner kritisch. Einig sind sich die beiden Organisationen auch bezüglich der aktuellen Lage: Die akuten militärischen Angriffe des türkischen Militärs auf das gesamte kurdische und êzîdische Siedlungsgebiet, gefährdeten den Kampf gegen den "IS" und unterstützten seine Reorganisation. Insbesondere die 30km Zone, in die Erdogan im Westen eindringen wolle, umfasse auch die Lager Camp Al Hol und Camp Roj, in denen zehntausende "IS"-Familien interniert seien. Die Gefahr würde unter anderem auch durch Berichte des Pentagons dargelegt. An der Kundgebung beteiligten sich knapp zehn Personen, sie verlief ohne Zwischenfälle."


Foto: Mila Borkner

*Aktualisiert* - 3. Juni: Von Seiten der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Projekt FERMAN ) heißt es zu dem Urteil: „Am Beispiel des Verfahrens gegen Romiena S. beobachten wir, wie Menschen zu Täter_innen werden und Genozide rechtlich aufgearbeitet werden“, erläutert Dr. Leyla Ferman von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Im Prozess gegen die ehemalige Anhängerin des sog. Islamischen Staates Romiena S. hat das Oberlandesgericht Celle am Mittwoch ein Urteil gefällt. Die 34-jährige, die 2014 von Deutschland aus nach Syrien reiste, wurde zu 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Der Angeklagten wurden unter anderem die Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung einer Ezidin und der Billigung von Straftaten nachgewiesen.


Der Prozess wurde durch Mitarbeiterinnen der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten im Rahmen des Projekts „FERMAN“ beobachtet und dokumentiert. Erforscht wird, wie sich Menschenbild und Handlungen in und mit der Täter_innenschaft verändern und welche Rolle Opfern bei der Aufarbeitung zugesprochen wird. Die Auseinandersetzung mit Täter_innenschaft ist seit einiger Zeit übergreifender Teil im Aufgabenspektrum der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Das Projekt Ferman setzt sich dabei mit dem Völkermord an den Ezid_innen durch die Terrormiliz Islamischer Staat auseinander. Ein wesentlicher Bestandteil ist hierbei die Dokumentation und Vermittlung des Genozids.


„Durch Prozessbeobachtungen dieser Art können wir Strukturen von Genoziden erkennen, die durch ihre historische Kontinuität eine besondere Relevanz für unsere Arbeit besitzen“, so Dr. Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Anhand des Fermans sollen wiederkehrende Muster und Prozesse von Völkermorden identifiziert werden. Dies Umfasst die Umstände, die zu einem Völkermord führen, Formen und Methoden von Gewalt während eines Genozides und das Weiterleben nach Ende der groben Gewalt. Das Projekt Ferman möchte für die Aktualität von Genoziden und ihre Bedeutung für das Zusammenleben in einer diversen Gesellschaft sensibilisieren.




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