Mit roten Boxhandschuhen in die „Ausstellung der Sieger“
- Anke Schlicht
- 5. Juni 2023
- 2 Min. Lesezeit

CELLE. Das Gesicht der alten, ganz in schwarz gekleideten Frau sieht der Betrachter nicht, sie kehrt ihm den leicht gekrümmten Rücken zu, steht da, schaut auf eine dunkle Fläche - keine Farbe, nur grau und weiß. Eberhard Schlotter bedient sich sparsamer Mittel und erzählt dennoch mit seiner Bleistiftzeichnung aus dem Jahr 1961eine ganze Geschichte. Ein von Arbeit geprägtes Leben auf dem Lande wird hinter ihr liegen, ihre Haltung, die Kleidung deuten darauf hin. Ihren Arm hat sie auf den Rücken gelegt, er lenkt unsere Aufmerksamkeit auf sich, der Künstler hat ihn hell abgesetzt.
Es ist auch diese Art der Komposition, die Udo Rüssing an dem Maler und Grafiker Eberhard Schlotter schätzt. „Er führt unseren Blick zur Kernaussage des Bildes“, sagt er. Am 3. Juni wäre er 102 Jahre alt geworden, und dieses hat die Leiterin der Eberhard-Schlotter-Stiftung, Dietrun Otten, zum Anlass genommen, den zweiten Wettbewerb für Kunstschaffende in Celle auszurufen. Ende des vergangenen Jahres lud sie ein, sich mit einem Ausschnitt seines grafischen Werkes, und hier speziell die Frauenbilder, auseinanderzusetzen, sich eine der vorgegebenen neun Grafiken auszuwählen und neu zu interpretieren.
Der Celler Maler Udo Rüssing entschied sich für ein Bildnis ohne Titel, das eine schöne Frau zeigt, ihre Ärmel sind aufgekrempelt, vor ihr ein Tisch, auf den sie einen Krug stellt. Ihr Gesicht wirkt müde, sie ist abgekämpft, vielleicht eine Kellnerin irgendwo in Spanien, wo der im Jahr 2014 verstorbene Künstler überwiegend lebte. Rüssing änderte gar nicht viel, aber das, was er abwandelte, ist stark. Er zog ihr rote Boxhandschuhe an, gab etwas Gelb auf das Haar und färbte ein Auge blau, wie es nach Boxkämpfen eben vorkommt. Das war’s, und das siegte. Seine Arbeit überzeugte die dreiköpfige Jury und wurde zum Titel der neuen Schlotter-Schau, die am Wochenende im Bomann-Museum eröffnet wurde: „Ausstellung der Sieger“, zu sehen bis zum 27. August. Neben Rüssing schafften es auch Horst-Günter Brune, Ursula Gomm, Katharina Gröschner und Ilsabé Prinzhorn, sie sind die Sieger.
Es ist nur eine kleine Schau mit 18 Werken, aber sie hat es in sich. Auch wenn Grafik schwierig ist, wie die Kunsthistorikerin und Kuratorin Dietrun Otten, die lange in Wien tätig war, sagt. „Mein Mentor warnte mich, stell‘ Grafiken nie alleine aus, das ist etwas für Kenner“, berichtet sie in der Einführung vor einem zahlreich erschienenen Publikum. Sicher stimmt die Aussage, aber so viel Kunstverständnis braucht es in diesem Fall gar nicht. Die Idee ist einfach gut. Der Wandel des Frauenbildes dominiert die Arbeiten der Wettbewerbsteilnehmer. Alles und jedes ist vor dem Hintergrund der Zeit, in der es entstand, zu betrachten. Die Celler Künstler haben den grafischen Stil und die Sujets der neun Arbeiten Schlotters in die Gegenwart katapultiert, teilweise Texte dazu verfasst, die die Bilder ergänzen.
Dietrun Otten kündigt schon jetzt weitere Wettbewerbe an. Legt man ein Gespräch mit Sieger Udo Rüssing zu Grunde, dann dürfte es an Ideen für Einsendungen nicht fehlen: „Mich inspiriert das Werk Schlotters“, sagt er. Von der „Boxhandschuh-Grafik“, der er keinen Titel gegeben hat, war er selbst gar nicht so überzeugt. „Ich hatte andere Arbeiten gefertigt, die fand ich besser“, blickt er auf die Zeit des Wettbewerbs zurück und schließt einen Satz an, der die Grundlage für diese außergewöhnliche und sehr sehenswerte Ausstellung enthält: „Ich habe Respekt vor diesem Mann, der kann was!“