BERGEN-BELSEN. Am 17. Februar 2023 wird in der Gedenkstätte Bergen-Belsen die Ausstellung If A Tree Fell In A Forest des Künstlers Jakob Ganslmeier in Zusammenarbeit mit Onias Landveld, Ana Zibelnik und Oddkin eröffnet. Anwesend sind neben den Künstlern die Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen Dr. Elke Gryglewski, der Leiter der Non-Profit-Organisation Paradox Bas Vroege sowie die Projektgesamtleitung Ingvild Hagen Kjørholt für das Falstad Centre.
Die Ausstellungsentwicklung wurde durch Paradox aus den Niederlanden betreut, die seit vielen Jahren die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen in Ausstellungen, Publikationen oder Online-Präsentationen mitgestalten.
„Kunst kann ein Weg sein, um Besucher_innen zur Reflexion anzuregen. Sie ist subjektiv und öffnet dadurch den Diskussionsraum zu diesem Themenfeld, zu dem es für viele Menschen noch keine eingeübten Zugänge gibt“, betont Gryglewski.
Die Komplexität der Geschichte braucht mehrere Perspektiven und ohne den Blick auf Täter_innen wird auch die Darstellung der Opfer unvollständig. Lange hat die Gedenkstätte Bergen-Belsen - aus guten Gründen – die Opfer der hiesigen Lager in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Nun soll das Thema Täterschaft stärker beleuchtet werden.
In einem europäischen Kooperationsprojekt der Gedenkstätten Bergen-Belsen (Deutschland), Westerbork (Niederlande) und Falstad (Norwegen) wurden Künstler eingeladen, sich ausgehend vom Wohnhaus der jeweiligen Lagerkommandanten mit dem Thema Täterschaft auseinanderzusetzen. Für Bergen-Belsen ist dabei eine Videoinstallation des Fotografen Jakob Ganslmeier unter Mitwirkung von Onias Landveld, Ana Zibelnik und Oddkin entstanden, die vom 17. Februar bis 30. November 2023 im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte zu sehen ist.
Neben der Ausstellung in Bergen-Belsen werden am 17. Februar auch die Website des Projekts mit einer Online-Präsentation der Kunstwerke der drei Gedenkorte sowie eine partizipative App (Chatbot) für Besucher_innen der Ausstellung gelauncht.
Über die Installation:
If a Tree Fell in a Forest (Wenn ein Baum in einem Wald umfällt)
Jakob Ganslmeier
In Zusammenarbeit mit Onias Landveld, Ana Zibelnik und Oddkin
Wenn ein Baum in einem Wald umfällt und niemand da ist, um es zu hören, hat er dann wirklich ein Geräusch gemacht? In Anlehnung an dieses philosophische Gedankenexperiment wirft die Multi-Screen-Videoinstallation If a Tree Fell in a Forest die Frage auf, ob auch Täterschaft, von der wir nichts wissen, eine Bedeutung hat. In einer Zeit von zunehmendem Rechtsextremismus, geht es in A Mirrored Image, Redpilled und 77 Circles um Unwissen, die Zugänglichkeit von Täter-Narrativen und auch generationelle und kulturelle Brüche.
77 Circles (77 Kreise) zeigt Reservisten der Bundeswehr, die das Areal des Hauses eines Kommandanten in einem ehemaligen Konzentrationslager abholzen. Und obwohl diese Handlung, die auf Bitten des Künstlers ausgeführt wurde, unter Historikern und einer älteren Generation von Zuschauern eine heftige Debatte auslösen würde, würde sie einen großen Teil der heutigen Jugend gleichgültig lassen. Sollen Täter eine Rolle in unseren historischen Narrativen spielen, oder sollten wir uns weiter fast ausschließlich auf die Opfer konzentrieren?
Die ältere Generation andererseits – unfähig einen großen Teil der kryptischen Insidersprache und -symbolik der Meme-Kultur zu lesen, abgeschreckt von der einfachen Ästhetik der Meme-Kultur und nicht empfänglich für ihren nihilistischen Humor – neigt dazu, den Online-Diskurs als harmlos abzutun. Wie Redpilled zeigt, ist die schnell wachsende Bedrohung der Online-Radikalisierung und ihrer Taktiken allerdings real. Extremistische Online-Narrative haben begonnen, existierende Formen von Erinnerungskultur und ihre üblichen Verbreitungswege zu überschatten.
„Meine Vorstellung wurde von Hollywood geschult“, sagt Spoken-Word-Künstler Onias Landveld in A Mirrored Image (Ein gespiegeltes Bild). Landveld ist in Surinam aufgewachsen, einer ehemaligen holländischen Kolonie in Lateinamerika. In seiner Video-Zusammenarbeit mit Ganslmeier, der in Deutschland in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers in Dachau aufgewachsen ist, denkt er über seine Vorstellung des Holocausts nach, die stark durch dessen Darstellung in der Populärkultur beeinflusst ist. „Meine Konflikte, meine Kriege. Sie finden auf einem anderen Schlachtfeld statt“, erklärt er in dem Video,während Ganslmeiers Kamera ihm folgt, als er über das Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen und den noch genutzten Truppenübungsplatz wandert, das diese umgibt. Ihre Zusammenarbeit deckt die kulturelle Distanz zwischen dem Holocaust- und dem Kolonialismusdiskurs auf, und auch unser Scheitern, beide in einen Dialog zu bringen.