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Hermannsburger erinnern an Euthanasie-Opfer


Gedenken vor dem Haus in der Lotharstraße, wo Irmgard Ruschenbusch wohnte. Fotos: Susanne Zaulic

HERMANNSBURG. Ob die Hermannsburgerinnen Irmgard Ruschenbusch und Agnes Timme tatsächlich am 16. Juni 1941 ermordet wurden, oder einige Tage später, ist nicht mehr ermittelbar. Tatsache ist, dass die beiden Frauen Opfer des NS-Euthanasieprogrammes waren. Beide erkrankten als junge Erwachsene an Schizophrenie. Ihr Leben wurde als „lebensunwert“ eingestuft. „Wenn da keine Kraft mehr ist, für die eigene Gesundheit zu kämpfen, endet das Recht zu leben“, hatte Hitler bereits 1924/25 in „Mein Kampf“ geschrieben. Auf dieser Sichtweise beruhte die systematische Ermordung von psychisch kranken Menschen im Nationalsozialismus. Die Angehörigen und Nachfahren erfuhren von diesen Morden oft erst Jahrzehnte später durch mühsame Recherchen. Drei von ihnen waren gestern in Hermannsburg beim Polieren der „Stolpersteine“ für ihre Großtante bzw. Großmutter vor den ehemaligen Wohnhäusern dabei. Eine private Initiative von vier Hermannsburgern lädt seit drei Jahren zu dieser kleinen Gedenkveranstaltung ein.


„Sehr geehrter Herr Schade, haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage. Folgendes können wir Ihnen aus unseren Unterlagen mitteilen: Frau Irmgard Ruschenbusch, geb. am 5.3.1896 in Hermannsburg, wurde zu einem uns unbekannten Datum in die Anstalt Herborn aufgenommen. Von dort gelangte Frau Ruschenbusch in einem Transport mit 120 weiteren Patienten am 16. Juni 1941 nach Hadamar. In der Regel wurden die Patienten eines solchen Transportes noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet. Da aber die tägliche Tötungskapazität der Tötungsanstalt maximal 100 Personen betrug, ist es möglich, dass Frau Ruschenbusch erst am 17. Juni ermordet wurde…. Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen...“ Diesen Brief erhielt die Hermannsburger Familie Schade 2010 als Antwort auf eine Anfrage aus der Gedenkstätte Hadamar.


Dr. Hartwig Harms und Gotthard Schade waren als Großneffen von Irmgard Ruschenbusch, gestern mit dabei. Gotthard Schade weiß aus der familiären Überlieferung, dass damals im Hause der Familie ein Gottesdienst mit dem Pastor der Großen Kreuzkirche in kleiner Runde stattfand. Gesprochen werden durfte in der Öffentlichkeit über den Tod der Tochter, die vor ihrer Erkrankung eine Ausbildung zur Kindergärtnerin begonnen hatte, nicht. Wie viele Hermannsburger hatte auch die Familie von Irmgard Ruschenbusch einen engen Bezug zur Kirche. Sie war eine Nichte von Missionsgründer Ludwig Harms und Enkelin des Gründers der Großen Kreuzgemeinde, Theodor Harms.


„Von 1939 bis 1945 wurden fast 200.000 wehrlose Menschen umgebracht. Ihr Leben wurde als „lebensunwert“ bezeichnet, ihre Ermordung hieß ‚Euthanasie‘. Sie starben in den Gaskammern von Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Pirna, Bernburg oder – wie die Hermannsburgerinnen Ruschenbusch und Timme – in Hadamar, sie starben durch Exekutionskommandos, durch geplanten Hunger und Gift“, sagte Jost Hasselhorn, Initiator der Gedenkveranstaltung an der Lotharstraße 14 und im Lutterweg. „Die Täter waren Wissenschaftler, Ärzte, Pfleger, Angehörige der Justiz, der Polizei, der Gesundheits- und Arbeitsverwaltungen. Die Opfer waren arm, verzweifelt, aufsässig oder hilfsbedürftig. Sie kamen aus psychiatrischen Kliniken und Kinderkrankenhäusern, aus Altenheimen und Fürsorgeanstalten und Lazaretten, aus Lagern. Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter.“


An der zweiten „Station“, vor dem Gebäude des ev. Bildungszentrums, berichtete Sabine Röhrs, vom kurzen Leben ihrer Großmutter Agnes Timme. Die Mutter von vier Kindern wurde nur 29 Jahre alt. Nach der Geburt des vierten Kindes erkrankte sie an einer so genannten postnatalen Schizophrenie. „Ich wollte immer wissen, woran meine Großmutter gestorben ist“, sagt Sabine Röhrs. Ihre über 20 Jahre währenden Recherchen führten letztlich nach Hadamar und fanden ihren Abschluss im Verlegen des Stolpersteins 2017. Die Familie lebte im Gebäude der ehemaligen Heimvolkshochschule, vermutlich weil der Ehemann dort als Hausmeister beschäftigt war.


An beiden Stolpersteinen wurde ein Licht entzündet und eine Rose niedergelegt. Mit Gedichten von Nelly Sachs und Fritz Bruegel luden Bernd Eichert und Jürgen Schneider zum Nachdenken über die NS-Ideologie, ihren Umgang mit erkrankten Menschen und Widerständler ein. „Bis in die Gegenwart haben wir es zu tun mit menschenverachtenden Äußerungen und Handlungen“, kommentierte Jost Hasselhorn.


Seit Beginn des Jahres gibt es auch in Unterlüß eine „Stolperschwelle“. Über ihre Hintergründe berichtete Wilfried Manneke. Die Stolperschwelle steht für mehrere hundert Zwangsarbeiterinnen der Rheinmetall-Borsig AG, ihre Kinder sowie Kriegsgefangene, die in den Unterlüßer Lagern und bei einem Luftangriff am 4. April 1945 ums Leben kamen. Auch 17 Unterlüßer starben bei dem Angriff. Die Zahl der ums Leben gekommenen Zwangsarbeiterinnen und ihrer Kinder wurde nie genau ermittelt. Einige wurden in Massengräbern auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt.



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