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Brieftauben-Friedensflug: "Tierschutzwidrige Praktik" oder "Artgerechter Freiflug"?


Foto: Vera Kuttelvaserova / stock.adobe.com

HANNOVER. "Am 7. und 8. Mai 2022 wurden im Rahmen von 'Friedensflügen für die Ukraine', bundesweit schätzungsweise 600.000 Brieftauben mehrere hundert Kilometer entfernt vom Heimatschlag ausgesetzt. Der Landestierschutzverband Niedersachsen lehnt diese aus seiner Sicht fragwürdige Aktion des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter ab. Spenden können auch ohne derartige tierschutzwidrige Praktiken gesammelt werden." So lautete eine Mitteilung des Landestierschutzverbandes in dieser Woche. Auf Nachfrage von CELLEHEUTE hat jetzt der kritisierte Verband Deutscher Brieftaubenzüchter Stellung genommen zu den Vorwürfen. Er erklärt die Bedenken des Tierschutzverbandes mit einem "Missverständnis". Bei dem Flug handele es sich "lediglich um einen Flug unseres Reiseprogramms, der nur symbolisch als Friedensflug ausgeführt wurde". Auf den konkreten Flug aus der Ukraine geht der Verband zwar nicht genauer ein, teilt aber mit: "Um die Fähigkeiten der Brieftaube zu erhalten und weiterzuentwickeln sind Distanzflüge unerlässlich. Auf diese werden die Brieftauben langsam und mit tierschutzgerechten Trainings vorbereitet...." Man folge im Brieftaubenwesen hohen Tierschutzstandards und Bestimmungen, die zum Teil noch über das Tierschutzgesetz hinausgingen.

Der Landestierschutzverband schreibt in seiner Pressemitteilung:


Am 7. und 8. Mai 2022 wurden im Rahmen von „Friedensflügen für die Ukraine“, bundesweit schätzungsweise 600.000 Brieftauben mehrere hundert Kilometer entfernt vom Heimatschlag ausgesetzt. Der Landestierschutzverband Niedersachsen lehnt diese aus seiner Sicht fragwürdige Aktion des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter ab. Spenden könnten auch ohne derartige tierschutzwidrige Praktiken gesammelt werden, so seine Ansicht.


„Wir begrüßen jedes Zeichen der Solidarität für Frieden in der Ukraine, doch Tiere sollten man aus dem Spiel lassen“, so Beate Gries, Fachreferentin Stadttaubenmanagement. „Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben ihre Haustiere auf ihrer Flucht mitgenommen, damit diese gerade nicht auf der Straße landen. Jetzt Tiere für den Frieden auszusetzen, verhöhnt die Geflüchteten!“


Weiter stellt der Tierschutzverband fest: Auch wenn die Haustaube eine außerordentliche Orientierung besitzt und die Fähigkeit hat, in kürzester Zeit weite Strecken zurückzulegen: Lebenslang verpartnerte Tiere während der Brut zu trennen, damit sie ohne Pause durchfliegen, um rechtzeitig den Partner bei der Brut abzulösen, ist eine verachtenswerte Praxis und widerspricht dem Tierschutzgesetz, das Tiere vor Schmerzen, Schäden und Leiden schützt. Das Risiko von Greifvogelangriffen ist auf den unnatürlich langen Flügen extrem erhöht. Dieses als artgerechte Haltung zu deklarieren und als Kollateralschäden zu akzeptieren, macht die Geisteshaltung in diesem Sport deutlich.


Statt für den Transport hunderttausender Tauben in Deutschland in 300 LKW Kraftstoff zu verbrennen, hätte man besser Hilfsgüter transportiert. Ein tatsächliches Friedenssymbol des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter wäre gewesen, dieses Jahr weniger Tiere für ihren Sport zu züchten und so notwendiges Getreide zu sparen, das in der dritten Welt nun so dringend gebraucht wird. Stattdessen werden die Tauben instrumentalisiert und mit den Wettflügen zur Befriedung der Gier nach Preisen, Pokalen und Geld Tierleid produziert.


Bereits am 6. Mai 2022 hat der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter auf die Kritik reagiert und im Gegenzug die Internetseite mit den Auflassdaten der Wettflüge gesperrt, so dass eine Nachvollziehbarkeit der Flüge für die Öffentlichkeit nicht mehr möglich ist: https://www.brieftaube.de/flugberichte/auflaesse.html


Brieftauben sind Haustiere. Der natürliche Bewegungsradius um den Heimatschlag beträgt nur einige hundert Meter. Zwischen April und September werden Trainings- und Wettflüge veranstaltet, für die oftmals brütende Partnertiere getrennt und an bis zu 1000 km entfernte Orte verbracht werden, von denen aus sie in ihren Heimatschlag schnellstmöglich zurückfliegen müssen.


Brieftaubenzüchter organisieren sich in Vereinen und lassen bei sogenannten „Auflässen“ durchschnittlich ca. 1.500 Tauben gemeinsam fliegen, wobei einzelne Auflässe auch Größenordnungen von 25.000 Tieren umfassen können. Wissenschaftliche Erhebungen (Warzecha-Studie) weisen nach, dass jährlich über 50 %, in Einzelfällen bis zu 90 % der Tauben die Rückkehr nicht schaffen. Viele der Brieftauben sterben aufgrund schlechter Startbedingungen schließlich durch Erschöpfung, verdursten, verhungern oder werden Opfer von Greifvögeln. Der überlebende Teil der Tiere vergrößert jedes Jahr die Stadttaubenpopulationen, die ebenfalls aus Haustauben besteht.


Brieftauben lassen sich anhand ihres Ringes identifizieren. Theoretisch lassen sich diese bei deutschem Eigentümer über den Zuchtverein zurückführen. Oftmals besteht aber von Seiten des Eigentümers kein Interesse, da das Tier die Leistung nicht erbracht hat und damit für die Zucht wertlos ist. (Siehe auch Arte Dokumentation ‚Höhenflüge‘: „Aus einer alten Tradition, der Zucht von Brieftauben, wurde ein skurriles Millionengeschäft. Ein ungewöhnlicher Film über die Ausmaße und Absurditäten des Kapitalismus.)


Da der Brieftaubensportverband weiß, dass nur ein gewisser Prozentsatz der Tauben den Heimweg findet, muss das Auflassen von Brief-, „Friedens“- und Hochzeitstauben als Aussetzen von Tieren bewertet werden. Der Brieftaubensport wurde trotz massiver Proteste der Tierschutzorganisationen 2022 in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Das Aussetzen von Tieren ist in Deutschland nach dem Tierschutzgesetz verboten. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter nimmt zu der Kritik wie folgt Stellung: Sehr gerne gehen wir nachfolgend auf die Pressemitteilung ein, die leider einer Vielzahl falscher Informationen zugrunde liegt. Zunächst einmal möchten wir aber betonen, dass wir den Einsatz für den Tierschutz sehr zu schätzen wissen und dass wir jegliche Kritik sehr ernst nehmen. Denn das Thema Tierschutz ist für uns im Brieftaubenwesen essenziell.


Die Bedenken zu unserem Friedensflug, liegen leider einem Missverständnis zugrunde. Bei dem Flug handelte es sich lediglich um einen Flug unseres Reiseprogramms, der nur "symbolisch" als Friedensflug ausgeführt wurde. Die Spenden wurden speziell an diesem Wochenende von unseren Mitgliedern für die Menschen in der Ukraine gesammelt.


Zur Aufklärung: Die Brieftaube ist, neben anderen (Hund, Katze), eine domestizierte Tierart. Man muss hier allerdings von anderen Haus- und Zuchttauben unterscheiden. Eine Brieftaube besitzt außerordentliche Orientierung, einzigartiges Heimfindevermögen und die Fähigkeit in kürzester Zeit weite Strecken zurückzulegen. Brieftauben genießen, wie kaum ein anderes Haustier Freiflug, der zur artgerechten Haltung gehört. Um die Fähigkeiten der Brieftaube zu erhalten und weiterzuentwickeln sind Distanzflüge unerlässlich. Auf diese werden die Brieftauben langsam und mit tierschutzgerechten Trainings vorbereitet.


Schon das Wort "aussetzen" ist in diesem Zusammenhang sehr irreführend, da es impliziert, dass die Tiere zuhause nicht mehr gewollt sind. Aber genau das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: das Ziel in der Zucht und der Praxis des Brieftaubenwesens ist ja eben, dass die Tiere ihren artgerechten Freiflug erhalten und immer wieder nach Hause finden. Wir folgen im Brieftaubenwesen hohen Tierschutzstandards und Bestimmungen, die zum Teil noch über das Tierschutzgesetz hinausgehen.


Auch ist die angeführte Verlustrate der Warzecha-Studie leider irreführend, die in der Studie selbst bereits umfassend erklärt wird (s. Warzecha-Studie S.4; Begriffsbestimmung). Matthias Warzecha erklärt dabei selbst: „Es wäre also nicht richtig, für nicht mehr gesetzte Tauben den Begriff „Verluste“ zu verwenden. Richtig ist der Begriff „Setzverluste“. Er beschreibt genau das, was hier dargestellt wird: Die für das Setzen [auf einem Distanzflug] verlustig gegangenen Tauben.“ Dass weniger Tauben auf verschiedenen Distanzflügen gesetzt werden, kann verschiedenste Gründe haben, zum Beispiel kann ein Züchter (aufgrund von Urlaub) einen Distanzflug komplett aussetzen. Seine Tauben würden in der Studie dann als „Verlust“ geführt werden, obwohl sie in ihrem Heimatschlag sitzen. Leider kommt es dennoch immer wieder zu falschen Ausführungen und Annahmen hierzu.


Beim Freiflug, sei es beim Flug am Haus oder beim Distanzflug, sind natürliche Gefahren leider nicht vollkommen auszuschließen. Oft ist ein Greifvogelangriff der Grund, dass ein Brieftaubenschwarm auseinandergetrieben wird und die Tauben so panisch flüchten und die Orientierung verlieren. Das ist schrecklich, aber leider natürlich. Aber auch hier haben wir Vorkehrungen getroffen.


Um zum besten Schutz der Brieftaube, eine schnelle und sichere Rückführung zu gewährleisten, haben wir deutschlandweit Vertrauenspersonen im Einsatz. Unter www.brieftaube.de --> Taube gefunden können diese anhand einer unkomplizierten PLZ-Suche gefunden werden. Die Vertrauenspersonen holen die Brieftauben ab, versorgen sie und kümmern sich um die Rückführung in ihren Heimatschlag. Brieftauben gehören nicht nur rechtlich gesehen zu ihrem Besitzer. Sie werden in ihrem Heimatschlag vermisst.


Sollte es wirklich einmal vorkommen, dass ein Brieftaubenzüchter seine Tiere nicht zurücknimmt, bitten wir eindringlich darum, diesen schriftlich an verband@brieftaube.de zu melden. Wie distanzieren uns im Brieftaubenwesen von rücksichtslosen Umgangsformen gegenüber den Tieren und gehen dagegen an.


Wir haben großes Verständnis dafür, dass das Brieftaubenwesen sehr besonders und komplex ist. Sehr gerne laden wir jeden Interessierten dazu ein, sich ein eigenes Bild zu machen, mit uns in den Dialog zu treten und auch einmal einen Brieftaubenzüchter zu besuchen. Gerne vermitteln wir auch einen Kontakt in Ihrer Nähe."

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