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Klaus M. Frieling

Aus Überflutungen lernen: Celle stellt Hochwasserschutz auf Prüfstand

Vor knapp einem Jahr wurden viele Celler Stadtteile überflutet. Hier ein Blick auf den Schlosspark. (Archivfoto: Frieling)

CELLE. Rückblick auf eine Beinahe-Katastrophe: Die Weihnachtstage und der Jahresbeginn 2024 sind den Menschen in Celle und weiten Teilen Niedersachsens wegen des Hochwassers in prägender Erinnerung geblieben. Vor knapp einem Jahr waren Aller, Fuhse und Lachte nach langandauernden Niederschlägen in bis dato unerreichtem Ausmaß über die Ufer getreten. Zahlreiche Stadtviertel wurden damals überflutet, die alte Kanalisation der Fachwerkstadt war überlastet, die historische Altstadt kam nur Dank des pausenlosen Einsatzes hunderter Helfer und mit Glück trocken davon.


Nur wenige Zentimeter trennten Altstadt von Überflutung


„Beim Wasserstand fehlten damals nur wenige Zentimeter, bevor die Altstadt abgesoffen wäre“, mahnte Celles Oberbürgermeister Jörg Nigge am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zu den Schlussfolgerungen nach Bewältigung der Jahrhundertflut. Ohne die bereits unter seinen Amtsvorgängern Martin Biermann und Dirk-Ulrich Mende begonnenen Hochwasserschutzmaßnahmen hätte das Ganze noch weitaus schlimmer ausgehen können. Nach ausführlicher Analyse des damaligen Geschehens haben sich für die Kommune viele neue Aspekte zum Schutz vor künftigen Notlagen ergeben. Neben Lob für das Handeln der von ihm geführten Stadtverwaltung sparte Christdemokrat Nigge bei der Veranstaltung nicht mit Kritik an der rot-grünen Landesregierung.


Celles Oberbürgermeister Jörg Nigge (Mitte) hat gemeinsam mit Stadtbaurätin Elena Kuhls und Fachbereichsleiter Ulf Pohlmann die Schlussfolgerungen der Stadtverwaltung nach den Erfahrungen mit dem Hochwasser 2023/24 vorgestellt. (Foto: Frieling)

In Celle habe man die Hausaufgaben erledigt, betonte das Stadtoberhaupt. „Auch wenn wir seinerzeit recht gut durch die Lage gekommen sind, habe ich das zum Anlass genommen, alles nochmal auf den Prüfstand zu stellen.“ Alles sei untersucht, analysiert und optimiert worden, um eine ähnliche Notlage künftig zu verhindern. Allein im Celler Stadtgebiet seien seit Januar bei Stadtverwaltung, Feuerwehr und Stadtentwässerung 350 bis 400 Einzelmaßnahmen mit Gesamtkosten von mehr als vier Millionen Euro umgesetzt worden - begonnen beim Krisenstab über die Überprüfung von Bauwerken, Deichpflege und Böschungsarbeiten bis zu Sanierungen bei der Stadtentwässerung. Und auch die Celler Feuerwehr, die größte freiwillige Feuerwehr Niedersachsens, sei materiell gut aufgestellt. Nigge: „Wir sind für die Zukunft gerüstet, auch wenn wir gegen Risiken wie Starkregen und Grundwasser naturgemäß nur bedingt etwas ausrichten können und somit immer ein Gefahrpotenzial gegeben ist.“


Auf einer Karte listet das Rathaus die damaligen 12 Brennpunkte im Stadtgebiet auf. Schutzmauern, Kanal-Sanierungen sowie Pumpen und Absperrschieber sollen die Situation künftig entschärfen.

Enttäuscht zeigte sich der Celler Oberbürgermeister vom Agieren der Landesregierung. Die Stadt sei in der Krise allein gelassen worden. „Das Land hat hier überhaupt nicht stattgefunden“, kritisierte Nigge. In Hannover gebe es genügend Staatssekretäre, aber keiner sei angesichts der Notlage mal in die zwölftgrößte Stadt Niedersachsens gekommen. „Es braucht von oben eine Verantwortung, die es leider nicht gibt.“


Nigge sauer: „Das Land hilft uns in keinster Weise"


Auch über den Hochwassergipfel bei Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) in der vergangenen Woche in Hannover ärgert sich Nigge: „Das Land hilft uns in keinster Weise, das finde ich sehr traurig.“ Viele kleinere Kommunen könnten sich umfassenden Hochwasserschutz schlichtweg nicht leisten – das Land sei finanziell gefordert, um entsprechende Maßnahmen „auf trockene Füße zu stellen“, mahnte Nigge. Und auch beim Bürokratie-Abbau müsse mehr geschehen. Häufig stünden Planverfahren und Naturschutz-Vorschriften dem Handeln entgegen. „Damit habe ich ein Problem“, sagte Nigge. So habe die Naturschutzbehörde etwa das Mähen am Osterdeich untersagt – und gerade dort gab es um den Jahreswechsel Anlass zu großer Besorgnis. Einem drohenden Dammbruch sei damals mit einer mobilen Deichanlage als zweiter Verteidigungslinie begegnet worden, denn der Deich war durchweicht, die darauf stehenden Bäume vom Umsturz gefährdet. „Im schlimmsten Falle hätte wir große Teile des anliegenden Stadtteils Blumlage evakuieren müssen.“ Nigge fordert: „Wir müssen Hochwasserschutzmaßnahmen priorisieren!“


Schutzmauern stören Blick auf den Fluss


Abschließend appellierte das Stadtoberhaupt an die Eigenverantwortung der Bürger: „Jeder Eigentümer sollte Investitionen etwa für Rückstauklappen bei der heimischen Wasser- und Abwasserversorgung prüfen, um sein Haus hochwassersicher zu machen.“ Und: „Das Gemeinwohl sollte Vorrang haben vor dem Eigennutz.“ Die Stadtverwaltung streitet derzeit mit vier Anliegern an der Fritzenwiese, die sich gegen 75 Zentimeter hohe Hochwasser-Schutzmauern in ihren Gärten wehren. Der Schutz vor nassen Füßen geht halt zu Lasten des - in guten Zeiten - so schönen Ausblicks auf das Aller-Idyll.

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